auf der galerie sitzen zuschauer, meistens wenige. waehrend der beratungen ueber die hochschulfoerderung sind es etwas mehr, darunter offensichtlich studenten, aber keine gruppen, nur einzelne. mehr als hundertfuenfzig zuschauer sind nur waehrend der sitzung der vereinigten bundesversammlung da. es sind vor allem schulklassen mit ihrem lehrer. er hat ihnen zu hause die demokratie erklaert und nun wollen sie sie anschauen. zu hause wird er ihnen dann entschuldigend erkaleren, dass heute leider kein besonders spannendes geschaeft behandelt worden sei. er wird ihnen kaum erklaeren, dass das die regel ist, dass sich das parlament zeit nimmt fuer details, dass ein nationalrat innert weniger minuten von folgenden problemen hoeren kann (waehrend der behandlung des geschaeftsberichts des departements des innern): "zusatz von antibiotika in futtermitteln", "ueberpruefung von importaepfeln", "maturitaetsanerkennungsverordnung", "kranken- und unfallversicherungsgesetz", "abwasserreinigung und detergentien", "anstalten fuer schwererziehbare", "verhalten von fussgaengern und autofahrern an fussgaengerstreifen", "kursaele, spielapparate und lotterien" und so weiter. der lehrer hat seinen schuelern ein schauspiel versprochen, nun breitet sich auf den gesichtern enttaeuschung aus. der lehrer hat bei seinen schuelern den eindruck erweckt, dass die demokratie im parlament stattfinde - nun sind sie enttaeuscht von der demokratie. der lehrer glaubt auch, dass staatsbuergerunterricht sich in staatsbuergerkunde erschoepfe, erklaert den aufbau des staates und etwa den unterschied zwischen einer interpellation und einer kleinen anfrage. dabei muesste er staatsbuerger sprechen lernen; er muesste ihnen die methode, dagegen zu sein, beibringen, die methode der diskussion. und er sollte ihnen dann vor dem besuch des nationalrates erklaeren, dass hier die demokratie garantiert wird, nur garantiert und dass sie sie selbst auszuueben haetten. der lehrer winkt - die schueler sind froh, weitergehen zu koennen. vielleicht besuchen sie noch den baerengraben oder den gurten. ich komme aus dem langweiligen nationalrat auf die belebte strasse. die vielen autos fahren alle aneinander vorbei. ich stehe zehn minuten da und sehe keinen zusammenstoss. die autos stossen nicht zusammen, weil sie rechts fahren. irgendeinmal hat dieses parlament beschlossen, dass autofahrer rechts fahren muessen. deshalb gibt es keine zusammenstoesse. das parlament ordnet mir meine umwelt, es erfellt seine aufgabe, meine umwelt ist geordnet. das parlament garantiert die demokratie. wir haben eine direkte demokratie, das parlament selbst und allein ist sie nicht. demokratie - so habe ich gelernt - ist diskussion. irgendwo muesste die diskussion stattfinden, vielleicht in den parteien, aber die anstrengung der parteien gehen fast ausschliesslich auf parlamentssitze aus, sie sehen nur noch den apparat. das ist gefaehrlich, denn unser parlament war nicht als parlament einer parlamentarischen demokratie gedacht. es ist dazu nicht geeignet. unser parlament ist eine verwaltung. wenn es ausser dem parlament nichts anderes gibt, dann haben wir nicht einmal eine parlamentarische, sondern eine verwaltete demokratie. wir brauchen diskussionen. wo sollen sie stattfinden? im volk finden sie nicht mehr statt, das volk ist langweiliger, konservativer und reaktionaerer als das parlament. es wird nicht die schuld des parlamentes sein, wenn unsere demokratie zugrunde gehen sollte. es erfuellt seine verwaltungsaufgabe. wenn ausser ihm aber niemend mehr seine aufgabe erfuellt, dann leben wir in einer verwalteten demokratie, in der demokratie ohne diskussion. sie waere die schlechteste staatsform der welt. aus: sitzen als pflicht in: des schweizers schweiz © 1969 von: peter bichsel und wenn ihr nun denkt, das habe lehrer bichsel vor nem halben jahrhundert aber fein erklaert mit dem parlament, dann lest doch als naextes das hier von letztem freitag. tbz muss es nochmals lesen, ist nicht ganz drausgekommen, naemli: https://www.republik.ch/2020/06/04/das-endspiel einen guten start in die woche! -- = -- -- = -- -- = -- a n a . w o r d s aus dem hellblauen salon words@ana.ch http://ana.ch/words/ ana.txt seite 444 reicht ana.words weiter! vragen & kommentare & texte, die ihr davon findet, sie seien es wert, dass es die ganze welt erfaehrt, oder mindestens die redaktion, dann mailto:words@ana.ch du willst auch? immer mehr? dann abonnier auch du ana.words: http://ana.ch/txt/444