ana.words, starren ins leere at work

ana.words, starren ins leere at work
26. Januar 2009 mahal
In ana.bildwords
Lee Friedlander At Work ist eine umfassende Darstellung von Menschen an
ihren Arbeitsplätzen, beginnend mit einer Museumskommission
1979, die Friedlander nach Ohio und Pennsylvania führte.
Dort beobachtete er Arbeiter und Arbeiterinnen an
komplizierten und schweren Maschinen beim Stanzen, Schweißen
und Montieren. Er entdeckte, dass jeder Arbeitsplatz eine
eigene Logik hat, die den Arbeiter monumentalisiert oder
miniaturisiert, mönchisch abschließt oder als Kommunikator
frei in den Raum stellt. Statt nun den Menschen gegen die
Maschine herauszuarbeiten - als Humanum zu rehabilitieren,
wie klassische Industrie- und wohlmeinende
Arbeiterfotografen es immer getan haben -, erkannte
Friedlander den Zusammenhang als unauflösbar. In seinen
Fotografien gibt es nichts, was stört, weil ohnehin alles
dazugehört: Die Rückwände und Träger, die Schläuche und
Lichter, die optischen Hilfen, die Sitzgelegenheiten,
übergehend in Handschuhe, Tätowierungen, Arme, Dauerwellen,
Bluejeans, Augen und Münder. So wie man als Laie Maschine
und Produkt nur mühsam unterscheiden kann, werden die
Arbeiter selbst Teil eines durchkonstruierten Zusammenhangs,
mal symbiotisch verschmolzen mit der Apparatur, dann wieder
wie ein Fremdkörper dort hineingesetzt - Produkt aus einer
anderen Fabrik.

Der zweite große Block der Arbeitsplätze wurde 1986 in
Chippawa Falls im Staat Wisconsin bei der Computerfirma Cray
aufgenommen. Der Leiter der Fabrik hatte Friedlander selbst
bestellt, um eine Arbeit zu visualisieren, die vom Mikroskop
über die Festplattenmontage bis zur Verknüpfung hunderter
von Kabelverbindungen nach den Mühen des Sisyphos aussah. Im
eigenen Auftrag erkundete Friedlander, wie Menschen
aussehen, deren Arbeit nur noch auf dem Bildschirm des
Computers stattfindet. Mit der Abstraktion der Arbeit, so
erkennt man im Vergleich mit den Maschinenarbeitern, hat
sich die Konzentration immaterialisiert. Stellt man den
Bildschirm nicht dar, starren die Nutzer in einen
haarsträubend undefinierten Raum. Das Hollywoodporträt der
Entdecker, Hacker, Fahnder ist dagegen mindestens ein
Euphemismus.

Die eigentümlichste Bildgruppe zeigt nahe Porträts von
Figuren mit geschlossenen Augen, deren Köpfe eingespannt
sind in Kopfhörer und Mikrophone. Man meint, zurückversetzt
worden zu sein in die Studios der Musiker, die Lee
Friedlander als junger Mann begleitet hat. Um so
schockierender ist die Einsicht in den Umstand, dass es sich
um Angestellte im Telemarketing handelt, Telefonhausierer,
deren süßliche Mienen im Akt der Verstellung offenbar
unvermeidlich sind, und die sich auf die Stimme des zu
Kaschenden am anderen Ende der Leitung konzentrieren wie auf
einen Liebhaber. Angestoßen vom Magazin der New York Times,
hat Friedlander auf ergreifende Weise visualisiert, was man
getrost als Entfremdung bezeichnen darf: die Verbiegung des
Subjekts durch die Unerbittlichkeit der Warenwelt."

Ulf Erdmann Ziegler, Frankfurter Rundschau.


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