ana.words, serioese fachwahl

ana.words, serioese fachwahl
30. März 2022 tbz
In sex, drugs and techno
"nach dem ersten jahr durfte ich mir meine seminare selbst aussuchen und
habe mich fuer kritische gesellschaftstheorie entschieden. ich neige
naemlich zum kritisieren und interessiere mich fuer die gesellschaft.
schon bald stellte sich heraus, dass es da ausschliesslich um feminismus
ging, obendrein um den von der unkompliziertesten sorte. unkomplizierter
feminismus klingt ungefaehr so: "weisse, heterosexuelle,
ueberdurchschnittlich gut ausgebildete frauen duerfen auch was sagen".
vermutlich wollten sie das seminar erst SO nennen, aber dann gab es
irgendeinen ausschuss, der sich nicht einigen konnte, ob das der
wahrheit entsprach. 

in philosophie wurde die weltgeschichte naemlich auf sechsunddreissig
folien verteilt, von denen auf genau einer schwarze und frauen vorkamen.
es war eine sehr unterhaltsame folie, und ich wuerde auch auf keiner
anderen genannt werden wollen. eine besonders WUSELIGE folie war das.
und darum klickten die dozenten wahrscheinlich immer so schnell weiter.

kritische gesellschaftstheorie war ein ziemlich merkwuerdiges seminar.
es hatte zum beispiel kaum teilnehmer. wir sassen da zu sechst, und die
einzige, die etwas sagte, war ein maedchen, die allem ein "scheiss-"
voranstellte. "scheissungerecht, alte." so sachen sagte sie oft.
manchmal war sie verkatert und weniger gespraechig. "scheissunrecht",
war ihre schlussfolgerung an so tagen. jeder ihrer kommentare waere als
titel fuer unser seminar wunderbar geeignet gewesen, wenn ihr mich fragt.

unsere dozentin guckte immer ganz erschrocken, wenn das maedchen mal
wieder was sagte. wahrscheinlich gruebelte sie, was simone de beauvoir
in so einem moment getan haette. unsere dozentin las seit ungefaehr
vierzig jahren wieder und wieder "das andere geschlecht" und war deshalb
etwas weltfremd geworden. "das andere geschlecht" ist ein sehr dickes
buch, in dem steht, dass frauen auch was sagen duerfen. ich persoenlich
brauche dafuer keine neunhundert seiten, aber man muss so ein buch
natuerlich IN SEINEM ZEITLICHEN KONTEXT verstehen. eigentlich soll man
in philosophie alles in seinem zeitlichen kontext betrachten, und das
fand ich auf die dauer ziemlich ermuedend. mir haette gefallen, wenn wir
die dinge mal in MEINEM zeitlichen kontext betrachtet haetten."

aus:
die geschichte meiner sexualitaet
(original: 2021, deutsch: 2022)
von:
tobi lakmaker
(*1994)

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furcht und schrecken seit 1997

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