ana.words, rausch des verderbens, teil 2/2

ana.words, rausch des verderbens, teil 2/2
20. Mai 2022 tbz
In sex, drugs and techno
fortsetzung von gestern:


die hochsommerliche metropole glich einem tempel der betaeubenden
mattigkeit, der vor tausenden jahren von einem lange verschollenen, dem
hitzekult froenenden volk errichtet worden war. der unruhige schlaf zog
koerper in einen kochenden kratersee, randvoll mit klebrigen
ascheflocken und stuecken loechrigen bimssteins. oeffnete man die
fenster, stroemte in die engen, weder mit klimaanlage noch ventilator
ausgestatteten zimmer luft ein, die feuchter als eine duchnaesste
bettdecke war und die hautporen verklebte wie ein auf der haut
liegendes, warmes stueck fleisch, doch mit geschlossenem fenster
verfluechtigte sich der sauerstoff beaengstigend schnell, bis die luft
aus nichts als hitze bestand. ein absoluter rausch des verderbens. die
schlafstatten des augusts glichen saeulen heissen wasserdampfes,
aufsteigend aus einem sumpf, der die erinnerung an eine verstorbene
vorfahrin barg. ein reich quaelender visionen, die die traeume des
menschen durchzogen, drang aus seiner kochenden oberflaeche hervor und
schwebte ueber der stadt. luft, heisser als die hitze des hochsommers,
wurde zu transparenten kugeln, die in ein herz nach dem anderen
eindrangen und sich dabei schmerzhaft langsam zwischen ihnen hin und her
bewegten. die kristallisation unsichtbaren wachses zerriss unaufhoerlich
haut und durchbohrte fleisch. stuecke schwelenden fleisches.
schleimbildende membranen, uebersaet von brandwunden. das atmen war ein
zug ins verderben. fielen die stadtbewohner in den schlaf, war ihr
koerper erbarmungslos vom schweiss durchnaesst und wurde zu ewig
gluehender kohle. so brannten sie flammenlos die ganze nacht hindurch.
erreichte die hitze um die mittagszeit ihren hoehepunkt, trank er kaltes
bier aus dem kuehlschrank und sie ass einige stuecke gurke. schalteten
sie das oben auf dem regal stehende kastenradio ein, war immer nur der
wetterbericht zu hoeren. die maennliche radiostimme las sehr langsam die
vorhersage vor und betonte dabei jede silbe. tagsueber. lufttemperatur.
dreissig. grad. celsius. kein. wind. kein. schatten. gefahr von. feuer.
dreissig. grad. kein. wind. kein. schatten. tagsueber. vorausichtlich.
luftspiegelungen. in der stadt. schmelzen. des asphalts. und. der
autoreifen. kein. wind. keine. wolken. keine. schleimbildenden
membranen. gefahr. von feuer. keine. farben. im himmel. und in der
luft... die kerze auf dem fenstersims war zerlaufen, ohne jemals
gebrannt zu haben. das wachs hatte sich in der sengenden hitze verzogen
und war zu einer klaeglichen form geschmolzen, die auszudruecken schien,
wie seltsam liebe vergehen kann. am ende der hitzewelle blieb von den
menschen nichts als asche uebrig. sie wurden zu schattenhaften, grauen
geistern.


aus: "weisse nacht"
von: bae suah
(koreanische originalausgabe erschienen 2013,
auf deutsch bei suhrkamp herbst 2021)

ja. so ist das mit dem sommer.

schoenes wochenende!

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