ana.words, heimlich verliebtes rasenmae[he]rchen

ana.words, heimlich verliebtes rasenmae[he]rchen
29. März 2000 michael
In Allgemein
Folge elf: Das Maerchen


Es waren einmal drei Freunde, eine kleine Gewitterwolke,
eine kleine Sonnenblume und ein kleiner Rasenmaeher. Sie
trafen sich immer im Sommer auf einer Wiese zum Spielen. Die
kleine Sonnenblume sass auf den kleinen Rasenmaeher, der
knatterte lustig auf der Wiese herum, und die kleine
Gewitterwolke sauste hinter den beiden her.

Der kleine Rasenmaeher war heimlich ein bisschen verliebt in
die kleine Sonnenblume. Immer, wenn sie auf ihm sass und
lachend ihre Blaetter in den Wind hielt und sich an seinen
heissen, kantigen Koerper schmiegte, da wurde dem kleinen
Rasenmaeher ganz warm ums Herz. Die kleine Sonnenblume war
auch wirklich sehr huebsch, und es war kein Wunder, dass
sich der kleine Rasenmaeher eines schoenen Tages heftig und
unsterblich in die kleine Sonnenblume verliebte.

Doch der kleine Rasenmaeher war furchtbar schuechtern und
konnte ihr seine Liebe nicht gestehen. Manchmal, beim
Spielen, gab er schon mal mehr Gas, dass die kleine
Sonnenblume sich ganz doll an ihm festhalten musste. Oder
wenn sie abends unter einem Baum muede, aber zufrieden noch
den spannenden Geschichten zuhoerten, die die kleine
Gewitterwolke erzaehlte, dann rueckte der kleine Rasenmaeher
absichtlich naeher zu der kleinen Sonnenblume, damit seine
Raeder wie zufaellig ihre zarten Blaetter beruehrten.
Insgeheim mochte die kleine Sonnenblume den kleinen
Rasenmaeher auch sehr gut, doch sie haette sich ein wenig
Initiative von ihm gewuenscht. Aber sie haette sich bestens
vorstellen koennen, seine Freundin zu sein.

So ging das einige Monate lang, und der kleine Rasenmaeher
wurde ganz ungluecklich, weil er es nicht  zustande brachte
der kleinen Sonnenblume zu sagen, wie schrecklich verliebt
er in sie war. Und so geschah es, dass die kleine
Sonnenblume eines Tages einen jungen, gutaussehenden
Loewenzahn kennenlernte. Die beiden verliebten sich sofort
ineinander und verbrachten fortan jede Stunde gemeinsam.

Zu zweit war es nicht mehr so lustig, fanden der kleine
Rasenmaeher und die kleine Gewitterwolke, und nach einigen
Nachmittagen gelangweilten Herumrollens bzw. -schwebens auf
der Wiese gingen auch sie getrennte Wege.

Die Jahre vergingen, und die kleine Sonnenblume und der
Loewenzahn hatten geheiratet und einige Kinder in die Welt
gepflanzt. Sie waren das gluecklichste Blumenpaar der Welt.
Die kleine Gewitterwolke hatte neue Freunde gefunden, eine
Schaefchenwolke und einen Blitzableiter (mit dem
Blitzableiter hatte die Gewitterwolke eine unglaublich
leidenschaftliche, doch eher  unsolide Beziehung). Der
kleine Rasenmaeher war entsetzlich verbittert, mochte nicht
mehr lustig knattern und das Einzige, was sich nicht
veraendert hatte, war seine ehrliche und aufrichtige Liebe
zu der kleinen Sonnenblume. So wurde der kleine Rasenmaeher
zu einem ruecksichtslosen, von Selbsthass zerfressenen
Rasenmaeher, der an nichts mehr Gefallen fand, ausser am
sinnlosen und laermschwangeren Herumrasen auf jener Wiese,
auf der die drei Freunde einstmals soviel Spass miteinander
gehabt hatten.

Eines Morgens, die Sonne schien bereits und die Voegel
sangen froehlich, fuhr der kleine Rasenmaeher freudlos auf
einen Huegel, der am Ufer eines Teiches gelegen war. Wenn
man den kleinen Rasenmaeher ein bisschen kannte, konnte man
im unseligen Kreischen seines Motors seinen ganzen
Seelenschmerz erkennen. Doch seine grosse Liebe, die kleine
Sonnenblume, befand sich zur selben Stunde an jenem Huegel
auf einem Morgenspaziergang. Der kleine Rasenmaeher bemerkte
sie zu spaet, in voller Fahrt, konnte nicht mehr ausweichen
und ueberfuhr die kleine Sonnenblume ungebremst. Die hatte
zum Glueck nicht zu leiden, im Bruchteil einer Sekunde war
die kleine Sonnenblume in tausend Fasern zerfetzt.

Der kleine Rasenmaeher erlitt einen totalen Schock. Zwei
Tage und zwei Naechte blieb er still an jenem ungluecklichen
Ort stehen, besinnungslos und todtraurig. Danach konnte er
wieder halbwegs klar denken, wusch sich am Teich die Reste
seiner Geliebten von den Scherenblaettern und rollte ziellos
durch die Gegend. Sein Leben hatte keinen Sinn mehr, er war
nicht nur nie faehig gewesen, seiner Liebe in einer
erwiderbaren Form Ausdruck zu geben, er hatte auch
mitansehen muessen, wie seine Geliebte, die ihn eigentlich
ganz gern mochte, sich einem anderen hingegeben hatte. Und
nun hatte er sie in seiner blinden Raserei auch noch
umgebracht.

So suchte er seine alte Freundin auf, die kleine
Gewitterwolke, und berichtete stockend das Geschehene. Die
Gewitterwolke war durch ihre Bezieung mit dem Blitzableiter
sehr impulsiv und spontan geworden, und so entsprach sie dem
Wunsch des kleinen Rasenmaehers, ueber ihm so lange
auszuregnen, bis er verrostet war und in sich zusammenfiel,
gerne, zumal sie ihn wegen seiner Wortkargheit und
umweltfeindlichen Konstruktion sowieso nie besonders gut
hatte leiden koennen. Der kleine Rasenmaeher fuhr weinend
auf jenen Huegel, von der quirligen kleinen Gewitterwolke
begleitet, die sich ueber ihm placierte und sogleich anfing,
einen Regen von brutaler Leidenschaft und gnadenloser Kaelte
herniederprasseln zu lassen.

Zehn Tage lang regnete die kleine Gewitterwolke
ununterbrochen ueber dem kleinen Rasenmaeher, der die ganze
Zeit bitter weinte. Am zehnten Tag, kurz vor Mittag, war der
kleine Rasenmaeher dermassen durchgerostet, dass er
ploetzlich in sich zusammenfiel. Erschoepft liess die kleine
Regenwolke ein paar letzte Tropfen auf ihn fallen, wuenschte
ihm alles Gute in seiner neuen Funktion als Rosthaufen und
flitzte zu ihrem Freund, dem Blitzableiter.

Seither liegt auf dem Huegel am Teich ein kleiner Haufen
Rost, doch niemand kann ihn sehen, denn an jenem Tag begann
dort ein riesiges, dichtes Feld von wunderschoenen
Sonnenblumen zu wachsen, weil der kleine Rasenmaeher, als er
die kleine Sonnenblume ueberfuhr, Dutzende von ihren
Samenkoernern ueber die Wiese verteilt hatte. Und so hatten
der kleine Rasenmaeher und die kleine Sonnenblume, im Tod
vereint, doch noch zueinander gefunden.

Ende.

by hans.schmerz
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a n a . w o r d s
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