endlich kann ich all die schoenen words, welche die ana.words redaktion immer unter dem tisch oder besser auf der harddisk behalten wollte (weil zuviel intellekt und zuwenig sex) ganz direkt an die lieben ana.leserinnen versenden. unterschaetze nie eine ana.words leserin d@ana.ch Interaktive Schoepfungsrevision Dem Schoepfer digitaler Welten tritt am Ende nicht bloss der fremde Geist als eigener gegenueber, er schafft auch sich selber neu nach einer fremden Struktur. Eine Anmerkung zur digitalen Theologie. Von Heribert Seifert Multimedia ist heute das letzte Reservat utopischen Denkens. Waehrend ueberall sonst ein sich realistisch gebender Pragmatismus vor nichts so sehr zurueckschreckt wie vor der Ueberschreitung oder Verschiebung gegebener Grenzen, schwaermen die Adepten des digitalen Evangeliums von der Ermaechtigung des vernetzten Subjekts zu prometheischer Mass- und Grenzenlosigkeit. Die gerade in Deutschland so traditionsmaechtige Technikfeindschaft scheint in der Hitze visionaeren Traeumens verdampft zu sein. Drei Nachrichten aus juengster Zeit markieren den Stand der Dinge: Da begeistern sich auf der internationalen Funkausstellung in Berlin deutsche Rundfunkanstalten ueber eine "Weltpremiere". Waehrend der Live-Uebertragung der Show Verstehen Sie Spass? konnten die Zuschauer mit einem Tastendruck auf ihrer Fernbedienung "spannende Wetten" abschliessen, was sie nach Ansicht der Veranstalter endlich aus ihrer Rezipientenrolle befreite. Annaehernd zur gleichen Zeit stellte der amerikanische Chaosforscher William Ditto auf der internationalen Multimediamesse im Kanadischen Montreal den ersten Computer vor, der die Nervenzellen von Blutegeln mit Silizium-Bauteilen zusammenschalten kann. Und am Massachusetts Institute of Technology ist man beim Versuch denkende Wesen aus Mikrochips und Software zu erschaffen, offenbar schon so weit gekommen, dass die Bostoner Bastler auch eine Theologin eingestellt haben. Das ist konsequent, denn wenn der Roboter einmal wie ein Mensch auftreten kann, dann ist auch er eine Ebenbild Gottes und braucht geistlichen Beistand. Drei Nachrichten, drei Beispiele fuer das grosse Versprechen der digitalisierten Multimediazukunft: In allen drei Faellen geht es um Interaktivitaet, um jenes Zauberwort, das die Verhaeltnisse zum Tanzen bringen soll: Das Zwangsverhaeltnis der Kommunikation, das die einen zu bloss passiven Empfaengern verurteilt, waehrend die wenigen anderen aktive Sender sind, soll ebenso aufgehoben werden wie die Trennung zwischen Mensch und Maschine, auf dass in der neuen Synergie beide Potenziale ins Unlimitierte sich steigern lassen. Interaktivitaet scheint nicht nur aeltere Programme wie Brechts "Radiotheorie" zu verwirklichen, sondern auch die umfassende Idee einer Humanisierung der Apparate. Nun ist rasch zu erkennen, dass die Interaktivitaetsrhetorik bei den Betreibern der Massenmedien reines Marketing fuer kommerziell ausbeutbare "Erlebnisangebote" ist. Vor allem das neue digitale Bezahlfernsehen setzt ganz auf das suggestive Schluesselwort, um die neue "Freiheit" anschaulich zu machen. Hier wird die rein quantitative Steigerung der Optionen als geldwertes Unterscheidungsmerkmal vermarktet: Video on Demand verspricht, den Wunschfilm unabhaengig von der zeitlichen Ordnung eines Programms verfuegbar zu machen. Und die Freunde der Formel-1-Rennen koennen sich die Umlaufbahnen der rasenden Boliden jetzt aus sechs verschiedenen Kamerapositionen auf den Bildschirm schicken lassen. Das ist so interaktiv wie eine Speisekarte oder der kindliche Weihnachts-Wunschzettel, bietet aber weniger Ueberraschungen. Die versprochene Individualisierung bleibt im Medien-Schlaraffenland immer ans konfektionierte Programmglueck gebunden. Selbst die Propagandisten der schoenen neuen Medienwelt sind sich freilich nicht ganz sicher, wieviel Interaktivitaets-Optionen die bequeme couch potato wirklich will. Wenn Vilem Flussers Urteil ueber des Mediennutzers Lust an der Traegheit stimmt, dann geht das Aktivierungsangebot der Interaktivitaet ins Leere: "Die Leute wollen von den Bildern zerstreut werden, um sich nicht, wie dies bei einem tatsaechlichen Dialog der Fall ist, sammeln, versammeln zu muessen." Das duerfte auch die Hoffnung auf neue Formen der demokratischen Teilhabe daempfen. So ist Herbert Kubicek, Leiter der Forschungsgruppe Telekommunikation an der Universitaet Bremen, sehr skeptisch, ob die neuen Netze wirklich die Kommunikation zwischen Gruppen foerdern und die Filter der traditionellen Massenmedien unterlaufen koennen. Technisch moeglich ist gewiss der weitgehend unkontrollierte Transport von Meinungen und Informationen ueber alle gesellschaftlichen Bereiche. Aber neue Technologien koennen kaum soziokulturelle Trends veraendern, sie spiegeln sie nur wider. Darueber hinaus zeigt die Entwicklung bei aelteren Medien, dass anfaenglich begeistert genutzte Formen einer "Kommunikation von unten" rasch industriellen Mustern der Massenkommunikation unterworfen wurden. So feierte man vor Jahren das Aufkommen der Videokassette als Chance, eine von Hollywood unabhaengige Film- und Dokumentarkultur zu entwickeln, die jeden zum Produzenten machen wuerde. Heute ist der Videomarkt laengst in die Verwertungskette der Filmindustrie eingeordnet, die Interaktivitaet nur als Kaufakt zulaesst. Fataler noch als die Reduktion von Interaktion aufs kommerziell Kompatible ist die Veraenderung unserer Vorstellung von Kommunikation durch das Zusammenschalten von Mensch und Apparat. Als interaktiv gelten die Apparate schon, wenn sie auf ein Input mit einem Output reagieren, der das "Ergebnis struktureller Justierung" (Matthias Groll) der Maschine ist. Diese strukturelle Justierung folgt der kybernetischen Informationsverarbeitung mit Hilfe der binaeren 0-1-Codes, der Kommunikation nur als Datentransport zulaesst. Damit aber legen, so der Medientheoretiker Matthias Gross, "die Anschlussbedingungen der Apparate fest, was Kommunikation ist". Eine paradoxe Hoerigkeit stellt sich ein: Um mit der Maschine in Interaktion treten zu koennen, muss der Apparat so programmiert werden, dass er mit dem Menschen kommunizieren kann. Das fuehrt aber zwangslaeufig dazu, dass diese Programmierung auf den Menschen zurueckwirkt und alles aus der Kommunikation ausschliesst, was nicht mit der Struktur der Maschine kompatibel ist. Interaktivitaet erweist sich so als Funktionslogik des Apparats, fuer den das reine Fliessen von Informationen schon hinreichend "Sinn" gibt. Fuer den Kunsttheoretiker Lev Manovich schafft Interaktivitaet damit die Voraussetzung fuer perfekte Manipulation: "Mentale Prozesse der Reflexion, des Problemloesens, der Erinnerung und Assoziation werden externalisiert und mit dem Vorgang gleichgesetzt, einem Link zu folgen", was nichts anderes heisst, als "vorprogrammierten, objektiv existierenden Assoziationen nachzugehen". So tritt dem Schoepfer digitaler Welten am Ende nicht bloss der fremde Geist als eigener gegenueber, er schafft auch sich selber neu nach einer fremden Struktur. Da hilft vermutlich nur noch Theologie. du, Die Zeitschrift der Kultur, Dezember 1999/Januar 2000 -- -- = -- -- = -- -- = -- a n a . w o r d s aus dem dunkelblauen salon words@ana.ch http://ana.ch/words/ ana.txt seite 444 reicht ana.words weiter! _____________ ________________________ ______________________________ ____________________________________ ________________________________________ _____________________ __________________ ____________________ ___________________ ______________________ ___________________ ______________________ _____________________ ____________________ ____________________ ______________________ __ _____________ ____________ _______ _________ ___________ _______ ______________ ______ _________________ ______ ________ ____________________ _____________________ ______________________ ____________________ ___ ________________________ ____________________ ______ ________________________ __________________ _______ __ _______________________ __________________ ________ ___ ________________________ ____________________ ______ _ ________________________ ______________________ ____ __________________________ _________________________ __ ____________________________ _____________________________ ____________________________ _______________________________ ____________________________ _______________________________ ____________________________ _______________________________ ___________________________ _______________________________ ___________________________ _______________________________ ___________________________ ______________________________ ___________________________ _____________________________ ___________________________ ____________________________ ____________________________ ____________________________ _ ___________________________ ____________________________ __ ___________________________ ___________________________ ____ ___________________________ ___________________________ _____ ___________________________ __________________________ _______ ___________________________ _________________________ ______ __________________________ ________________________ ________ __________________________ ______________________ __ __________ ___________________________ ______________________ _ _________ __ ________________________ ___________________ ___________ ________________________ ___________________ ___________ ______________________ __________________ _____________ _____________________ _________________ _____________ ____________________ ______________ ______________ ___________________ _____________ _______________ __________________ ____________ ________________ ________________ __________ ______________ _____________ ________ ______________ _________ _______ _____________________ ____ ______ ____________________________ _______________________________ ________________________ ______________ best viewed in a fixed-width font such as monaco or courier