ana.words, ein pfingsttag 6/11

ana.words, ein pfingsttag 6/11
12. August 2001 michael
In Allgemein
6/11 

 SERGEJ AUSLAENDER Ein Pfingsttag 


Wjerotschkas Antwort war etwas scherzhaft gehalten, aber
doch ganz im Tone einer zaertlichen Braut. Sie teilte ihm
mit, dass sie sich sehr langweile, dass die Alten, wider
Erwarten, keinen besonderen Widerstand entgegensetzten, aber
doch ein wenig schmollten; dass sie offenbar den endgueltigen
Entschluss bis zur Aufklaerung aller naeheren Umstaende
hinausschoeben. "Also ist alles in schoenster Ordnung und
hoechst einfach. Ich haette mir niemals gedacht, dass es so
einfach ist, Braut zu werden", schrieb Wjerotschka.

Aljoscha schrieb ihr sehr gewissenhaft. Ihre Briefe kamen
nicht allzuoft, und Aljoscha wartete jeden Morgen, ob Sina
ihm nicht ein wohlbekanntes gelbes Kuvert bringen wuerde.
Wenn kein Brief kam, fuehlte sich Aljoscha enttaeuscht und
unbehaglich. Endlich kam die Nachricht, dass Wjerotschka und
Wolodja am Vorabend von Pfingsten kommen wuerden. Das ganze
Haus war in Aufregung. Anatolij Iwanowitsch schickte einen
Extraboten in die Stadt, um allerlei Esswaren einzukaufen.
Man lieh vom Arzt, der drei Werst weit weg wohnte, eine
schwere viersitzige Equipage, die der Arzt selbst nur an
seinen Namenstagen zur Fahrt in die Kirche zu benuetzen
pflegte. Man scheuerte die Fussboeden in allen Zimmern und
breitete sogar den fuer den Sommer fortgeraeumten Teppich aus.
Aljoscha bat instaendig, keine grossen Geschichten zu machen,
bereitete sich aber selbst wie zu einem grossen Fest vor.

Und nun fuhr er an einem hellen Spaetnachmittag zur Station,
um Wjerotschka und Wolodja abzuholen.

Er kam viel zu frueh hin und musste noch lange auf dem Perron
auf und ab gehen. Im kleinen Stationsgarten bluehte der
Flieder. Junge Maedchen spazierten mit dem stutzerhaften
Telegraphenbeamten. Eine Signalstange hob sich scharf gegen
den rosa Himmel ab, und der schnurgerade Schienenstrang
schien in den Himmel hineinzulaufen. Es daemmerte, und auf
dem Perron brannten schon die grossen Gaslaternen, als in
der Ferne die Lichter des Zuges aufleuchten. Das ferne
aufregende Droehnen klang immer deutlicher, und endlich kamen
die Flammenaugen der Lokomotive ganz nahe heran.

Aljoscha lief hilflos auf dem Perron hin und her. Wie es in
solchen Faellen immer ist, konnte er den richtigen Wagen
lange nicht finden und gab schon beinahe jede Hoffnung auf.
Als er endlich in einem der Coupefenster das besorgte
Gesicht Wolodjas erblickte, erkannte er ihn im ersten
Augenblick kaum.

Wolodja, in hellem Ueberzieher und rundem Strohhut, ein
kleines kariertes Koefferchen in der Hand, sprang aus dem
Wagen. Gleich stand auch schon Wjerotschka auf dem Perron,
noch ehe ihr Aljoschka zur Hilfe kommen konnte.

Sie trug ein graues Reisekostuem, eine graue seidene Muetze
und ein kleines Taeschchen an einem Riemen ueber die
Schulter.

In den ersten Augenblicken fuehlten sie sich alle verlegen
und etwas unbehaglich.

"Nun, sehen Sie, ich habe Wort gehalten und bin gekommen",
sagte Wjerotschka. "Es war aber gar nicht so leicht: Papa
wollte sich von mir sogar lossagen, ueberlegte es sich aber
zu guter Letzt."

"Ja, Kinder", versetzte Wolodja, "wenn ihr wollt, dass aus
der Sache was wird, muesst ihr energischer vorgehen. Sonst
ist es eine unendlich fade Geschichte."


>> morgen gehts weiter!

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