mahalwords, AUS DEM BAUCH

mahalwords, AUS DEM BAUCH
24. November 1997 michael
In mahalwords
sonntagszeitung letzte woche:

AUS DEM BAUCH

Bellende Meerschweinchen 

Kuerzlich betrat ich eine Bar. Es roch kaesig und saeuerlich, es roch nach
Mensch, Vergorenem und Asche. Die Lichtquellen wurden dezent
eingesetzt, um zu verstecken, was man nicht zeigen durfte. Ein paar
wattarme Richtstrahler verloren sich in den nebligen Schwaden, die wie
Russfetzen im Raum hingen. Die Bar war gut besucht. Ich entdeckte einen
freien Platz an der Theke, den ich ohne Verzug ansteuerte. 

Ich tastete mich durch das Dunkel und drueckte mich zwischen dicht
stehenden Nachtschwaermern durch, die sich die Seele frei tranken. Der
Kellner stakste mir mit einem ueberstellten Tablett entgegen. Ich wich aus
und trat auf etwas Weiches. Eine Tasche? Ein Sandwich? 

Graesslich gellte urploetzlich ein Schrei durch die Bar. Schier barst mein
Herz. Der Kellner sprang zur Seite. Stolpernd stemmte er das Tablett in
die Hoehe; wankend, aber aufrecht hielt er Bierglaeser und
Wasserflaeschchen im Stand. Reaktionsschnell zog ich den Fuss zurueck und
klammerte mich, von einer boesartigen Attacke in die Defensive gedraengt,
am Tresen fest. Wie ein Berserker jagte am Boden ein Tierchen auf und
ab, eine vollgefressene Ratte, eine zottige Wurst, hinten und vorne
gleichfoermig verzipfelt, ein Huendchen offenbar, zum Glueck am Barhocker
festgeknotet. 

Das Biest klaeffte mich hysterisch an, uebergoss mich mit einem Stakkato
an Protest und Weh, das sich zu beleidigtem Winseln abschwaechte und,
unterbrochen von giftigem Schnappen nach meinen Beinen, in herzkrank
geroecheltem Husten erstarb. 

Das Herrchen in Lederjacke und zu engen Jeans nahm sein fettes
Huendchen in die Arme und streichelte das Ende, wo der Kopf zu finden
war. So besaenftigt, verstaute er es wieder unter dem Barhocker. 

Armer Hund. In diesem Laerm. In dieser Luft. Auf diesem Boden.
Umstanden von schweren Maennertretern, bedroht von pfeilduennen
Stilettos; mal knistert eine gluehende Zigarette im Fell, mal tropft
Gerstensaft von der Theke. Und diese Gerueche. Was fuer ein Leben. Ein
Leben als trippelnde Wurst. 

Aermer freilich ist der hundelose Gast. Will er denn ins Wirtshaus oder ins
Tierheim? Die Bar mag der absonderlichste Ort sein, Tiere auszufuehren,
aber laengst nicht der einzige. Was suchen frisch frisierte Pudelgrazien in
Tea-Rooms? Warum muessen Frauen ihre vierpfotigen Bodyguards in
Kneipen schleppen? Doggen, Schaefer und monstroese Hirtenhunde? Zum
Dessert dann noch der Gourmet, der sein bellendes Meerschweinchen
unbedingt mit Filetto di manzo fuettern lassen muss. 

Hunde, habt ihr denn vergessen, dass man euch verspeisen darf? 

Ausser Rosmarie. Kein Hund schaut erbarmungswuerdiger in die Welt als
sie, die riesige Berner Sennenhuendin, wenn sie sich vor die Kueche meines
Stammlokals wagt und ergeben bettelt - praezis auf der Tuerschwelle und
kein Schritt darueber. 

Paul Imhof 



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