ana.words, schmerz ohne sex

ana.words, schmerz ohne sex
9. Februar 2000 michael
In Allgemein
Folge vier: Der Spontanscherz


Hans Schmerz, der lustige Kommunikationswissenschafter, hat
eine interessante Beobachtung gemacht. Wenn Menschen sich
Dinge erzaehlen, und das tun sie ja staendig, passiert es
sozusagen immer, dass einer der Beteiligten aus der
Konversation ausbricht und die geschilderte, nicht zwingend
spannende Situation unter Aufhebung aller physikalischen und
juristischen Gesetzmaessigkeiten minuzioes in die
abstrusesten Gebilde transformiert, was dann Anlass zur
allgemeinen Belustigung gibt. Es handelt bei sich diesen
Spontanscherzlein um Scherzlein, die kuerzestfristig aus
Gespraechsmomenten entstehen.

Damit kann auch eine ganze Serie von solch spontanen Witzen
eingeleitet werden: Jeder appliziert noch eine weitere
Witzschicht, bis der Angelegenheit jegliche Weltlichkeit
abhanden gekommen ist und nunmehr ein verbales Dali-Gemaelde
darstellt, in dem Haeuser fliegen und Menschen straflos
morden duerfen. Manchmal zeigt sich diese Phaenomen auch in
abgeschwaechter Form, wenigstens als humorekses mimisches
oder gestisches Quittieren jedwelcher Schilderung. Wenn also
jemand von einer Situation berichtet, die ihn voellig
ueberrascht hat, so kann es ihm passieren, dass er im ihm
lauschenden Antlitz einen uebertriebenen Mimikreflex auf
seine Worte beobachten darf, oder umgekehrt, er selber seine
Ausfuehrungen mit allen moeglichen Anstrengungen seiner
Gesichtmuskulatur begleitet.

Spontanscherze kommen so haeufig vor, dass ich mir erlaube
zu behaupten, 50% der Lacher auf unserem Planeten
entspringen diesem Muster. Damit Sie wissen, was ich
eigentlich meine (falls Sie tatsaechlich so bescheuert sind
und es immer noch nicht begriffen haben), darf ich Ihnen
hier einige Exempel vorfuehren.

1. Es wird von einer Polizeikontrolle berichtet. Der
Erzaehler beschreibt einen heiklen Moment, in dem er eine
Frage des Polizisten beantworten muss, die etwa lautet:
"Fuehren Sie Waffen mit sich?" Worauf der Scherzkeks in der
Runde laut auflachend bemerkt, dann muesse man sagen: "Ja,
hehe, den ganzen Kofferraum voll!". Just diese Antwort auf
eine solche Frage resultiert uebrigens in extensiven
Rektaluntersuchungen auf dem Polizeiposten (nein, nicht ich,
das war ein Bekannter, der tatsaechlich so bloed war, das zu
sagen. Hans Schmerz haette geantwortet: "Mein lieber Mann,
verglichen mit meiner Potenz war Hiroshima ein
Kaspertheater!").

2. Das Gespraech dreht sich um Fernsehen. Einer sagt, er
habe gar keinen Fernseher. Da verkuendet der Scherzkeks, er
sei doch sicher einer, der Fernsehwellen direkt in sein
Gehirn aufnehmen koenne und demzufolge doch gar keinen
Fernsehapparat benoetige. Nein, nicht so witzig.

3. Zwei sprechen ueber einen Werbespot gegen
Kindsmisshandlung. Der eine bemerkt, ihm sei dieser Spot
unter die Haut gegangen. Da entgegnet der andere: "Wieso,
hast du gerade ein Kind missbraucht und und dir dann
gedacht, das sei vielleicht eben schon nicht so nett?".

4. Am Radio ist in den Nachrichten zu hoeren, dass die
Polizei in einer Grossaktion 50 Taschendiebe geschnappt
habe. Da bemerkt einer der Zuhoerer, "ja, hehe, die haben
einfach alle verhaftet, die ein Portemonnaie in der Tasche
hatten."

5. Unter Maennern ist die Rede von einer Frau, die sich eine
Gesichtsmaske aufgetragen hat. Einer der Maenner, ein
feinfuehliger, bemerkt, dass man in diesem Fall merken
sollte, dass eine Frau ihre Ruhe brauche. Der Witzbold in
der Runde entgegnet dann, dass sie sich nicht so anstellen
solle, wenn er jeweils seine Gesichtsmasken auftrage, sei er
auch nicht zickig. Wir sehen, in Spontanscherzen ist viel
Ironie.

6. Jemand wohnt in einem alten Haus, und ihm ist in der
Kueche die Decke eingestuerzt, was er seinen Kollegen
berichtet. Sofort beginnt ein Kollektivgescherze, einer
meint, dann habe die 3-Zimmerwohnung fortan halt nur noch
zwei bewohnbare Raeume, ein anderer, dann muesse man wohl
kuenftig die Nachtruhe mit dem Stahlhelm bewehrt verbringen.

Dies passiert wirklich staendig. Ewig. Dauernd. Laufend. In
jedem Gespraech, das sich nicht gerade um Beerdigungen und
Amputationen dreht, aber auch dann. Jeden Tag erlebe ich
solcherlei. Es geht nicht ohne. Wer sich in Gespraeche
verwickelt, wird frueher oder spaeter unweigerlich
Spontanscherze antreffen. Die Mutationen geschiehen stets in
den Varianten ,schadenfreudig/gewalttaetig", wobei oft
Polizisten oder andere Wuerdetraeger die Opfer sind,
,vulgaer/pervers", sehr beliebt, und ,geisteskrank/absurd".
Die resultierenden Lacher sind ebenso kurz und hysterisch,
wie ihr Ausloeser kurzlebig ist.

Den Gespraechen, die auf diese Weise zu wahren
Juxveranstaltungen werden, liegt nicht selten eine
unbefreidigende alltaegliche Banalitaet zugrunde. Kaum sonst
hielte man es fuer noetig, gerade sie mit Humor anzureichern
und so erst zur Verdaulichkeit zu erheben. Es handelt sich
oft um die Art Gespraeche, die stattfinden, weil man sich,
um des Wohlbefindens willen, gegenseitig beschallt und dabei
die Kultur des Inhalts vernachlaessigt. Gespraeche also, die
nur gefuehrt werden, weil man sich besser fuehlt, wenn man
miteinander spricht, als wenn man sich bloss anblickt und
dann den Mutmassungen, was da wohl auf der Gegenseite so
gedacht wird, ausgeliefert ist. Gespraeche, die man auch
nicht fuehren muesste, um miteinander gleich viel
weitergekommen zu sein. Gespraeche, die man beispielsweise
dann fuehrt, wenn man mit seinen Eltern am Tisch sitzt. Die
machen, wenn der Nachwuchs ausgezogen ist, immer so komische
Frage-Antwort-Spiele, verflochten mit eigenen Schilderungen
aus der Welt des Einkaufens in Supermaerkten ("also gestern
in der Migros, da hat doch tatsaechlich einer an der Kasse
vorgedraengelt") und der Welt der Maenner fortgeschrittenen
Alters, in der nicht mehr Erektionen, sondern
lokalpolitische Vorgaenge Aufsehen erregen. Die Welten
derjenigen also, die eigentlich schon gestorben sind, aber
noch nicht tot.

Gespraeche dieser und anderer belanglosen Arten wollen also
intellektuell und humoristisch aufgewertet sein, ansonsten
hinterlassen sie nach ihrem Weggang ein schales Gefuehl der
Anspruchslosigkeit. Wer sich einmal auf das Muster des
Spontanscherzes achtet, wird schnell feststellen, wie oft es
in jeder Begegnung zur Anwendung gelangt. Es scheint fast
so, als waere die nackte Nuechternheit derart unertraeglich,
dass sie bei ihrem Auftreten stets und sogleich mit einem
kessen Kleidchen des Scherzes ummantelt werden muss, auf
dass ihr nur dergestalt Einlass in unsere Gehirne und Herzen
gewaehrt sei. Wir moegen es nicht profan. Die wahre
Menschenwelt, wie sie sich uns praesentiert, langweilt uns
oft oder widert uns gar an. Wir haben nicht viel uebrig fuer
laue Ablaeufe, es vermoegen wirklichkeitsgetreue und
unverkleidete Vorgaenge unseren Geist nicht erwaermen. Man
stelle sich bloss einen solchen Waschmittelwerbespot vor:

Eine enge, muffige Waschkueche. Durch ein kleines Fenster
draengt fahles Licht. Eine uebergewichtige Frau, zwei
quengelnde Kinder. Berge von unappettitlicher Waesche. Die
Frau ergreift eine stark mit Exkrementen verschmutzte,
ausgeleierte Unterhose. Schnaufend und kopfschuettelnd
steckt sie sie mit anderen in die Waschmaschine.

Schnitt.

Die Kinder streiten, eben schlaegt der Junge dem Maedchen
einen Schraubenschluessel auf den Hinterkopf, es sackt
leblos zusammen. Die Mutter holt dessen ungeachtet mit
anderen Waeschestuecken die inzwischen gewaschene Unterhose
aus der Maschine, betrachtet sie und spricht in die Kamera:
"Jaja, "Fupp" waescht schon recht sauber."

So taet' sich "Fupp" wohl schlecht verkaufen. Viel besser
verkauft es sich mit Prozac-vollgestopften Models, die in
wundersamer Maerchenumgebung tanzen und lachen. Und dabei
noch teure Stoffe schwenken, die nur so praechtig glaenzen,
weil sie vorgaengig mit "Fupp" behandelt worden sind. Nicht
selten beschleicht einen das Gefuehl, die gluecklichen
Menschen in solch froehlichen Spots haetten mit dem Produkt
irgendeine perverse Fetischbeziehung. So wie gewisse Frauen
in Spots mit ihren Autos umgehen, moechte man meinen, die
taeten damit noch ganz andere Dinge als herumfahren.

Meistens ist die Welt natuerlich nicht so trist, im
Gegenteil. Die Welt ist ein wunderbarer Garten, der uns mit
koestlichen Fruechten ueberhaeuft, aber manchmal steht uns
der Sinn nach Hamburgers und nicht nach Obst. Wie dem auch
sei, wir leben davon, dass wir lieben und lachen. Lachen tun
wir aber mehr als lieben, und einfacher ist es auch. Deshalb
reissen wir unseren Gespraechspartnern auch nicht die Toga
herunter, sondern wir scherzen mit ihnen. Deshalb gibt es
auch mehr Witze als Pornofilme. Also ich habe mehr Witze
gehoert als Pornofilme gesehen. Aber zum Lachen braucht's
einen Grund oder wenigstens einen Anlass. Und wenn der nicht
gegeben ist, so erschafft man sich eben einen. Wenn Sie,
liebe Leserin und lieber Leser, Ihr Gehoer nun also auf den
Mechanismus des spontanen Scherzes sensibilisieren, Ihr Mund
ist es ja bereits, werden Sie erkennen, dass wir dank ihm
doppelt soviel zu lachen haben. Und das ist wichtig, denn
wer nichts mehr zum Lachen hat, der hat nichts mehr zu
lachen.

Ende.

by hans.schmerz
http://www.hansschmerz.ch/


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a n a . w o r d s
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