ana.words, nicht ohne meinen anwalt

ana.words, nicht ohne meinen anwalt
7. Dezember 2020 tbz
In Allgemein
kurzfassung zu eriz' fragen
(http://ana.ch/words/archive/?id=6813 ):
"Ich würde empfehlen, die Schwelle von Tätlichkeit zu Körperverletzung
nicht zu überschreiten."
und ausserdem aussage verweigern.



wer's genauer lesen will
hat heute und morgen zeit fuer diese 
ausfuehrliche antwort von adrian
naextes ana.word dann am mittwoch.

herzlichen dank an adrian fuer die jus-abhandlung!!

allen einen guten start in die woche

.-.-

Hier eine Antwort vom Jusstudenten?
Dann wollen wir mal systematisch vorgehen. Zuerst schauen wir, was für
Straftatbestände in Frage kommen, dann ob du evtl. gerechtfertigt
gehandelt hast und wenn du dann noch nicht draussen bist, schauen wir,
ob eine Schuldminderung oder ein Schuldausschluss in Frage kommt.
Natürlich ohne Anspruch auf Vollständigkeit und ohne Gewähr, der
Jusstudent hat noch nicht mal den Bachelor abgeschlossen und bietet hier
nur einen kleinen Einblick ins Strafrecht.


In Frage kommen folgende Delikte:

Ehrverletzungsdelikte:
Hier kommt es darauf an, ob du eine Tatsachenbehauptung oder ein Werturteil abgibst.
Dein Fluchen ist eher ein Werturteil, also eine Beschimpfung nach StGB
177. Wichtig ist hier der Absatz 2 um straffrei zu bleiben. 
"Hat der Beschimpfte durch sein ungebührliches Verhalten zu der
Beschimpfung unmittelbar Anlass gegeben, so kann der Richter den Täter
von Strafe befreien.?
Anniesen kann auch als Werturteil verstanden werden, wenn du damit deine
Geringschätzung über die Person zum Ausdruck bringst.

Wenn du eine Tatsachenbehauptung machst, kommst du straffrei davon, wenn
du beweisen kannst, dass die Tatsache stimmt.
Also wenn du z.B. Eric Weber als Nazi betitelst ist es OK, wenn du
belegen kannst, dass er einer ist
(https://tageswoche.ch/politik/gerichtsurteil-eric-weber-darf-nazi-genannt-werden/)


Körperverletzungsdelikte:
Also hier kommt es für die Rechtsfolgen eigentlich weniger darauf an,
was du machst, sondern was die Folgen davon sind.

Das schwächste: StGB 126 Tätlichkeit: Gewalt überschreitet das
?gesellschaftlich geduldete Mass?

Beispiele für Tätlichkeit
? Ohrfeigen, Faustschläge, Fusstritte, heftige Stösse, Zu-Boden-Werfen
(sofern darin nicht bereits eine Schädigung von Körper oder Gesundheit
liegt, sonst eKV)
? Anwerfen fester Gegenstände von einigem Gewicht
? Begiessen des Opfers mit Flüssigkeit
? Zerzausen einer kunstvollen Frisur
? Tortenwurf ins Gesicht; Verschmieren eines ?Stückli? (Patisserie) im
Gesicht, sog. ?entartage?, BGer 8.10.2001, 6P.99/2001
? Nicht: Anspucken; Geht zwar über allg. geduldetes Mass an Einwirkung
auf Menschen hinaus, entscheidend hier aber nicht Angriff auf Physis
(dieser bloss Mittel zum Zweck), sondern auf Ehre ?> Beschimpfung 177

Tätlichkeit ist ein Antragsdelikt, das Opfer muss einen Strafantrag
stellen, sonst passiert nichts. Du bekommst höchstens eine Busse, keinen
Strafregistereintrag.


Dann kommt StGB 123, die einfache Körperverletzung: Schädigung an Körper
oder Gesundheit mit gewissem Krankheitswert 
also wenn die Person vom Arzt krank geschrieben wird. Es reicht aber
auch, wenn das Opfer wegen Angstzuständen nicht mehr Zug fahren kann und
darum nicht arbeiten kann. Ich würde empfehlen, die Schwelle von
Tätlichkeit zu Körperverletzung nicht zu überschreiten.
Auch dies ist noch ein Antragsdelikt, bis zu 3 Jahren Knast oder Geldstrafe
Ich würd sagen, deine schön beschriebene Ohrfeige mit Zahnverlust würde
da rein fallen, alles vorher eher noch nicht. Aber die könnte auch eine
Schwere Körperverletzung sein, wenn ?das Gesicht eines Menschen arg und
bleibend entstellt? wird, Rechtsfolgen siehe unten.
Mit dem Pfefferspray benutzt du eine Waffe, damit wird es zu einem
Offizialdelikt, ein Strafantrag des Opfers îst nicht notwendig, die
Bullen müssen von sich aus Ermitteln. 

Dann schwere Körperverletzung (StGB 122): Lebensgefährliche Verletzung
oder schwere bleibende Schäden
Beim Feuerlöscher kommt's darauf an, wohin du schlägst. In den Bauch
wird's wohl einfache Körperverletzung sein.
Gegen den Kopf wird's wohl schwere Körperverletzung sein, also 6 Monate
bis 10 Jahre Knast.
Und wenn du dir dabei bewusst bist, dass so etwas tödlich enden könnte
und eine Todesfolge in Kauf nimmst, wird's zum evtentualvorsätzlichen
Tötungsversuch.
Das kommt dann darauf an, was du dir dabei gedacht hast. Und weil die
Bullen (noch) keine Gedanken lesen können, immer Klappe halten! Dein
Anwalt weiss besser als du, welche Worte dir wie im Mund verdreht werden
können. Die Grenze zwischen ?Davon ausgehen, dass der Tod ausbleibt? und
?den Tod in Kauf nehmen? ist nicht sehr scharf.


Dann gibts noch "Verbrechen und Vergehen gegen die öffentliche Gesundheit":

z.B. StGB 231 Verbreiten menschlicher Krankheiten ?Wer aus gemeiner
Gesinnung eine gefährliche übertragbare menschliche Krankheit
verbreitet, wird mit Freiheitsstrafe von einem bis zu fünf Jahren
bestraft.?
Das kommt zum Zug, wenn du weisst, dass du Corona hast und jmd. anniest.
Der klassische Fall hierzu ist, jemanden absichtlich mit HIV anstecken
(ja, so Idioten hat's tatsächlich gegeben).



Also, jetzt haben wir ein wenig gesehen, was dir droht, aber jetzt kommt
das spannende, wie holen wir dich trotzdem wider raus?
Es könnte ein Rechtfertigungsgrund vorliegen, z.B. Wahrung berechtigter
Interessen (wird aber vom Gericht (zu) selten anerkannt, da brauchen wir
gute Argumente).
«Wahrung berechtigter Interessen setzt voraus, dass die Tat ein zur
Erreichung des berechtigten Ziels notwendiges und angemessenes Mittel
ist, sie insoweit den einzig möglichen Weg darstellt und offenkundig
weniger schwer wiegt als die Interessen, welche der Täter zu wahren
sucht.»
z.B. Whistleblowing, Karikatur, Pressefreiheit

Voraussetzungen für ?Wahrung berechtigter Interessen"

1 Objektiv: Ziel sozial erwünscht oder (grund)rechtlich geschützt
- Ziel, dass Opfer Maske trägt, ist sogar vorgeschrieben, also klar gegeben

Objektiv: Mittel (Notwendigkeit und Angemessenheit (= Erforderlichkeit))

2 Subsidiarität (Einziger Weg? Kein anderes Mittel, um Ziel rechtskonform zu erreichen)
- Das Opfer trägt nur eine Maske, wenn ihm das Gesicht zerschmettert
wurde und er dann ohne Maske nicht mehr in die Öffentlichkeit gehen
will. Also gegeben.
3 Proportionalität (Interessensabwägung / verhältnismässig?
Wahrgenommenes Interesse ist höher zu gewichten als strafbares
Verhalten)
- Wenn sich Corona weiter ausbreitet, nimmt die Wirtschaft Schaden, also
gegeben (Killerargument "Wirtschaft leidet" wirkt immer, wie Renato
Kaiser das so schön erklärt hat:
https://www.youtube.com/watch?v=8KVUnnjMW24). Das Gericht wird das wohl
nicht so sehen, hier scheitern die meisten, die sich auf Wahrung
berechtigter Interessen berufen. z.B. Whistleblowing: Man soll zuerst
alle denkbaren internen Möglichkeiten ausschöpfen, bevor man an die
Öffentlichkeit geht (wtf, ich geh ja an die Öffentlichkeit weil intern
alles Schrott ist)

Subjektiv: Wissen / Wollen (Auch hier wieder der Knackpunkt deiner
Inneren Gedanken, darum nochmals: Sag nichts ohne deinen Anwalt!)
4 Kenntnis der Kollisionslage
- Du wusstest, dass das Ziel des Kampfes gegen Corona in Gefahr war
5 Willen zur Wahrung des höherwertigen Interesses
- Und du hast zugeschlagen, um dem Kampf gegen Corona zu helfen

Folge: Falls die Voraussetzungen erfüllt sind, Ausschluss der Rechtswidrigkeit, Freispruch


Oder es liegt etwas vor, dass dich ?entschuldigt".
Z.B. könntest du so in Rage geraten sein, dass du vorübergehend
unzurechnungsfähig warst (Affekthandlung). Ist nicht so einfach zu
beweisen, sodass es vom Gericht akzeptiert wird.
Oder du warst sternhageldicht ( > 3 Promille). Aber wird nicht
akzeptiert, wenn du dich bewusst betrinkst, um dann eine Straftat zu
begehen (also den Tatentschluss schon vor dem Suff gefasst hast).


Also wie du siehst, hängt viel von der subjektiven Seite ab, also was du
dir dabei gedacht hast. Die Bullen und die Staatsanwaltschaft werden
immer versuchen, dir Worte in den Mund zu legen, die nachteilig für dich
sind. Daher: Aussage verweigern!


so, das wärs glaub, sorry, dass es so viel zu lesen ist, aber wenn ich
scho mal Gelegenheit habe sinnvoll zu repetieren und anzuwenden.
adrian

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