ana.words, immer radikal und niemals konsequent

ana.words, immer radikal und niemals konsequent
29. September 2021 tbz
In sex, drugs and techno
vor ner weile erschien ein interview mit benedikt loderer
(selbst googleren) im tagi und sonstwo
und tbz wollte das eigentlich grad bei ana bringen
aber - zack - ist anderthalb monate spaeter.
egal.
hier was zu hueslischwiizern, wohnungen mit abgeschafften kuechen und ohne elternschlafzimmer,
backpulver fressende balkone und aehnlich schoenes. 

gute lektuere!



Corona hat eine verloren geglaubte Sehnsucht geweckt. Stadtmenschen
zieht es aufs Land.
bl: Das ist doch nicht wahr, das ist doch eine Zeitungsente! Ein Aberglaube!
Die Familienleute wollten schon vorher aufs Land ziehen.

Es hat sich schon etwas geändert. Die Nachfrage nach Wohnungen und
Häusern nahm auf dem Land zu.
bl: Ja, von mir aus, aber wir wissen nicht, wie lange das anhält. Ich glaube
nicht, dass die ganze Corona-Geschichte die Mentalität der Menschen
verändert. Die Leute wollen wieder das, was sie gehabt haben. Es ist
übrigens auch gar nicht so schlimm, dass die Leute aufs Land ziehen,
wenn es dadurch eine etwas bessere Verteilung gibt.

Echt? Benedikt Loderer, der Erzfeind der Hüslischweiz, sagt, es sei in
Ordnung, auf dem Land ein Hüsli zu bauen?
bl: Schauen Sie, es werden gar nicht mehr so viele Hüsli gebaut. Früher
konnte man einzonen à gogo – das ist endgültig vorbei. Im Kanton Zürich
kann man heute kaum mehr irgendetwas einzonen. Auch im Kanton Bern ist
es ganz schwierig. Die Hüsli werden teurer, weil es eine grosse
Nachfrage gibt und zu wenig Angebot. Das ist klar.

Sie sind Architekturkritiker. Gefallen Ihnen eigentlich die Häuser, die
heute gebaut werden?
bl: Einige schon, andere finde ich potthässlich.

Welche?
bl: Das Schlimmste sind die Hüsliplantagen. Die reine Verschwendung. Ein
Hüsli in der Mitte und rundum ein Rasenbord. Wir leben – das wissen wir
ja! – über unsere Verhältnisse. In allem. Also auch im Landverbrauch.
Früher bei den Bauern war das Land ein Produktionsmittel, heute ist es
ein Genussmittel.

Das hat sich durch Corona geändert. Die Leute sind in ihrem Hüsli
produktiv. Sie machen Homeoffice.
bl: Ja, aber gezwungenermassen. Das Büro in der Stadt gibt es ja immer noch.

Viele Arbeitgeber bauen gerade Büroplätze ab, weil die Leute auch
künftig im Homeoffice arbeiten wollen.
bl: Das würde ich auch – so ein Arbeitsplatz ist ja auch teuer. Interessant
ist auch, dass die Firmen dem Menschen im Homeoffice nichts zahlen für
sein Büro. Und interessanterweise wehrt sich niemand.

Das kommt vielleicht noch.
bl: Also bei den Hüslimenschen rechne ich nicht damit. Widerstandskraft
und Sense civique sind nicht deren Krankheit... Woher auch! Das Einzige,
wogegen sie sich wirklich wehren, ist Eigentumsstörung. Das ist es, was
sie aufregt.

Woher kommt Ihr Argwohn gegenüber den Hüslischweizern?
bl: Wir leben alle über unsere Verhältnisse. Aber der Hüslischweizer ist
die Verkörperung dessen. Wir subventionieren ihn sogar noch. Wir bauen
ihm eine wunderbare Infrastruktur, damit er in seinem Hüsli hocken und
pendeln kann. Wir bauen eine Strasse, und eine S-Bahn auch noch grad.

Sie müssen unseren Lesern schon noch erklären: Warum lebt ein
Hüslischweizer über seine Verhältnisse?
bl: Das Problem des Hüslimenschen ist, dass er einfach viel mehr Land
braucht als ein Städter, er braucht meist ein Auto und Benzin. Von allem
braucht er mehr. Nur schon ökologisch ist das nicht zu rechtfertigen.

Herr Loderer, wie viele Quadratmeter hat Ihre Altbauwohnung hier in der
Bieler Altstadt?
bl: Viel zu viel. Das ist klar.

Und wie rechtfertigen Sie diese Verschwendung?
bl: Es ist einfach: immer radikal und niemals konsequent. Einmal im
Leben kommt so eine Wohnung an einem vorbei, und dann muss man sie
nehmen.

Sie haben eben den Hüslimensch als Mitläufer ohne Zivilcourage
beschrieben…
bl: …schauen wir mal die Gemeinden an, auf dem sogenannten Land. Die,
die neu dazukommen, engagieren sich politisch meistens schwach. Ihnen
ist es eigentlich wurst, in welcher Gemeinde sie sind. Solange sie ihren
Arbeitsplatz innert einer Stunde erreichen können, spielt es ihnen
eigentlich keine Rolle, in welcher Gemeinde das Hüsli steht. Erst wenn
sie die Gofen in der Schule haben, fangen sie an, sich dafür zu
interessieren, was in der Gemeinde passiert.

Das ist doch in der Stadt nicht anders.
bl: Ja, aber in der Stadt ist das das Normale, auf dem Land tut man so,
wie wenn dort die Gemeinschaft, der Dorfgeist das Wichtigste wären.

Sie kritisieren, dass die Pendler sich an ihrem Wohnort nicht
integrieren und Schlafdörfer entstehen. Hat Corona etwas verändert?
bl: Glauben Sie denn, dass sie den Fitnessclub in der Stadt gekündigt
haben? Oder das Badminton-Abo? Nein. Kaum ist die Pandemie vorbei,
fahren sie wieder 30 Kilometer in ihren alten Club. Sie sind nämlich
nicht in den Turnverein vom Dorf eingetreten. Sondern sie haben
gewartet, bis sie wieder da weiterfahren können, wo sie waren.

Haben Sie Hüslischweizer als Freunde?
bl: Ja, natürlich.

Und wie funktioniert das?
bl: Es sind halt Hüslischweizer, in Gottsname. Es gibt schlauere und
unmöglichere Hüslischweizer.

Nicht alle Hüslischweizer sind schlechte Menschen?
bl: Es sind gar keine schlechten Menschen. Aber sie sind Verschwender.

Geben Sie uns eine Alternative zur Hüslischweiz.
bl: Man muss es anders sehen. Wir haben in der Schweiz seit 1945 mehr
gebaut als alle Generationen seit den Römern miteinander. 70 Jahre lang
haben wir ununterbrochen unseren Wohlstand gesteigert. Und jetzt haben
wir mit Corona die Passhöhe erreicht. Die Schweiz wird ärmer. Es geht
abwärts.

Wie kommen Sie darauf?
bl: Zum Beispiel anhand der Wohnungsgrössen. Vor zwei Generationen haben
wir noch etwa 25 Quadratmeter pro Nase gehabt, jetzt sind wir schon bald
bei 50 Quadratmetern. Und nun kommen die Ersten, die kleinere Wohnungen
planen.

Das heisst?
bl: Die Wohnungen sind ja immer so gross, wie sie sich die Leute leisten
können. Wenn jemand behauptet, die Wohnungen seien zu teuer, dann hat er
nicht ganz gut aufgepasst. Eine Wohnung ist erst dann zu teuer, wenn sie
nicht vermietet oder verkauft werden kann.

Die sinkende Wohnfläche könnte auch ein Zeichen dafür sein, dass der
Platz knapp wird.
bl: Nein. Es geht ja nicht darum, dass wir möglichst viele Wohnungen
bauen, sondern darum, dass es auch rentiert, wenn wir investieren.

Die Ökonomen sehen die Frage nach dem Niedergang anders. Sie rechnen mit
einem Superboom.
bl: Schauen Sie doch, was die Ökonomen in den letzten 20 Jahren erzählt
haben – und wenn Sie dann noch Glauben haben in die Ökonomen, dann sind
Sie selber schuld. Ich gebe zu, es ist für die Schweizer eine völlig
wirre und unanständige Vorstellung, dass es ihnen schlechter gehen
könnte. Das ist ja schrecklich! Unausdenkbar! Aber die Schweiz wird
ärmer. Von jetzt an geht es uns schlechter. Sie werden es sehen.

Worauf stützen Sie sich – ausser auf Ihr Gefühl und die sinkenden
Wohnflächen?
bl: Wenn ihr das Gesamtsystem für stabil haltet, seid ihr selber schuld.
Kalter Krieg überwunden, die Demokratie hat gewonnen, jetzt wird alles
gut – denkste! Es ist gar nichts gut! Die Welt ist mehr zunderobsi, als
sie es vor 30 Jahren war.

Wann haben Sie zum ersten Mal prophezeit, dass die Passhöhe erreicht ist?
bl: Vor 5 Jahren.

Damals lagen Sie falsch.
bl: Es ist ja interessant. Wir haben uns gegen alle Gefahren gewappnet,
sind versichert in jede Richtung. Und dann kommt so ein Virus, das man
nicht einmal sieht, und bringt das ganze System durcheinander. Jetzt
sind wir bei Covid-19. Die nächste Seuche kommt bestimmt – da müssen Sie
mir nicht kommen und mir blauäugig erzählen: Es hebt no lang, es hebt no
lang!

Was ändert sich, wenn wir den Sinkflug beginnen?
bl: Als Erstes sinkt das Konsumniveau, Ferien in Südostasien kann man
sich nicht mehr leisten und so weiter. Doch das Schicksal der Schweiz
wird nicht in der Schweiz entschieden. Vieles ist abhängig davon, was
auf der ganzen Welt passiert. Mit dem Sinkflug werden die
isolationistischen Tendenzen stärker, was natürlich wieder dazu führt,
dass der Sinkflug steiler wird. Und wenn die Wohnfläche von sagen wir 50
auf 40 Quadratmeter sinkt, stünde plötzlich ein Fünftel aller Wohnungen
leer. Und dann müssen Sie sich das Geschrei anhören, das dann losgeht...

… die Hüslischweizer.
bl: Genau. Sie können ihre Hypotheken nicht mehr bedienen. Es gibt ein
grosses Bundesprogramm für die Hüslirettung. Wenns um ihr Eigentum geht,
werden die Hüslimenschen radikal.

Themawechsel: Wie verändert Corona das Wohnen?
bl: Die Grundrisse haben sich in den letzten 30 Jahren unheimlich
entwickelt.

Weshalb?
bl: Die Scheidungsrate und die Erbfälle führen jedes Mal zu einem
Wohnungswechsel. Und zu neu zusammengesetzten Familien. Das wirkt sich
auf die Grundrisse aus.

Und wie wirkt sich das konkret aus?
bl: Es gibt mehr Gemeinschaftsflächen. Das klassische
30-Quadratmeter-Wohnzimmer verschwindet. Wenn man früher eine Wohnung
geplant hat, hat man gesagt: Das ist das Elternschlafzimmer, hier an der
Wand die zwei Steckdosen, dazwischen kommt das Ehebett. Das ist vorbei.
Es gibt keine feste Vorstellung mehr, wozu ein Zimmer genutzt wird.
Stattdessen macht man lauter gleich grosse Zimmer. Und deren Verteilung
kann man nach der Scheidung auch neu organisieren.

Und was geschieht mit dem Balkon?
bl: Der hat sich bereits verändert. Der hat in den letzten 30 Jahren
Backpulver gefressen. Eine Wohnung ohne einen 10 Quadratmeter grossen,
möglichst quadratischen Balkon findet heute kaum mehr einen Abnehmer.

Auch die Küche hat sich stark verändert.
bl: Unterdessen haben wir die Küche eigentlich abgeschafft. Den schmalen
Schlauch aus den Fünfzigerjahren, den gibt es nicht mehr. Die Küche
steht im Wohnzimmer.

Hat das mit dem veränderten Frauenbild zu tun?
bl: Die klassische Hausfrau aus dem Betty-Bossi-Büchli gibt es nicht
mehr. Gleichzeitig ist die Küchenmaschinerie viel umfangreicher
geworden. Die Menschen haben weniger Kinder, essen weniger zu Hause, die
Küche ist weniger belastet. Und dann gibt es rein praktische Gründe: In
der Küche stinkt es nicht mehr so stark. Oder die Gerüche stören uns
weniger. Der Dampfabzug ist natürlich unterdessen eine riesige Turbine.

Falls Sie ein Haus bauen könnten: Was würden Sie bauen?
bl: Geben Sie mir ein Haus, das ich umbauen kann. Das Haus am Neumarkt
10, im Zürcher Niederdorf. Das hat einen wunderschönen Ofen drin, ich
würde schauen, ob ich das Dach ausbauen kann. Und hinten im Hof würde
ich eine Terrasse ranhängen, wenn die Denkmalpflege das zuliesse. Und
das reicht. Damit wäre ich zufrieden, mehr brauche ich nicht.       

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a n a . w o r d s
aus dem hellblauen salon

furcht und schrecken seit 1997

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