ana.words, goes intellect

ana.words, goes intellect
28. Dezember 2001 michael
In Allgemein
endlich kann ich all die schoenen words, welche die ana.words
redaktion immer unter dem tisch oder besser auf der harddisk
behalten wollte (weil zuviel intellekt und zuwenig sex)
ganz direkt an die lieben ana.leserinnen versenden.
unterschaetze nie eine ana.words leserin

d@ana.ch

Interaktive Schoepfungsrevision

Dem Schoepfer digitaler Welten tritt am Ende nicht bloss der fremde
Geist als eigener gegenueber, er schafft auch sich selber neu nach einer
fremden Struktur. Eine Anmerkung zur digitalen Theologie.
Von Heribert Seifert

Multimedia ist heute das letzte Reservat utopischen Denkens. Waehrend
ueberall sonst ein sich realistisch gebender Pragmatismus vor nichts so
sehr zurueckschreckt wie vor der Ueberschreitung oder Verschiebung
gegebener Grenzen, schwaermen die Adepten des digitalen Evangeliums von
der Ermaechtigung des vernetzten Subjekts zu prometheischer Mass- und
Grenzenlosigkeit. Die gerade in Deutschland so traditionsmaechtige
Technikfeindschaft scheint in der Hitze visionaeren Traeumens verdampft
zu sein.
Drei Nachrichten aus juengster Zeit markieren den Stand der Dinge: Da
begeistern sich auf der internationalen Funkausstellung in Berlin
deutsche Rundfunkanstalten ueber eine "Weltpremiere". Waehrend der
Live-Uebertragung der Show Verstehen Sie Spass? konnten die Zuschauer
mit einem Tastendruck auf ihrer Fernbedienung "spannende Wetten"
abschliessen, was sie nach Ansicht der Veranstalter endlich aus ihrer
Rezipientenrolle befreite. Annaehernd zur gleichen Zeit stellte der
amerikanische Chaosforscher William Ditto auf der internationalen
Multimediamesse im Kanadischen Montreal den ersten Computer vor, der die
Nervenzellen von Blutegeln mit Silizium-Bauteilen zusammenschalten kann.
Und am Massachusetts Institute of Technology ist man beim Versuch
denkende Wesen aus Mikrochips und Software zu erschaffen, offenbar schon
so weit gekommen, dass die Bostoner Bastler auch eine Theologin
eingestellt haben. Das ist konsequent, denn wenn der Roboter einmal wie
ein Mensch auftreten kann, dann ist auch er eine Ebenbild Gottes und
braucht geistlichen Beistand.
Drei Nachrichten, drei Beispiele fuer das grosse Versprechen der
digitalisierten Multimediazukunft: In allen drei Faellen geht es um
Interaktivitaet, um jenes Zauberwort, das die Verhaeltnisse zum Tanzen
bringen soll: Das Zwangsverhaeltnis der Kommunikation, das die einen zu
bloss passiven Empfaengern verurteilt, waehrend die wenigen anderen
aktive Sender sind, soll ebenso aufgehoben werden wie die Trennung
zwischen Mensch und Maschine, auf dass in der neuen Synergie beide
Potenziale ins Unlimitierte sich steigern lassen. Interaktivitaet
scheint nicht nur aeltere Programme wie Brechts "Radiotheorie" zu
verwirklichen, sondern auch die umfassende Idee einer Humanisierung der
Apparate.
Nun ist rasch zu erkennen, dass die Interaktivitaetsrhetorik bei den
Betreibern der Massenmedien reines Marketing fuer kommerziell
ausbeutbare "Erlebnisangebote" ist. Vor allem das neue digitale
Bezahlfernsehen setzt ganz auf das suggestive Schluesselwort, um die
neue "Freiheit" anschaulich zu machen. Hier wird die rein quantitative
Steigerung der Optionen als geldwertes Unterscheidungsmerkmal
vermarktet: Video on Demand verspricht, den Wunschfilm unabhaengig von
der zeitlichen Ordnung eines Programms verfuegbar zu machen. Und die
Freunde der Formel-1-Rennen koennen sich die Umlaufbahnen der rasenden
Boliden jetzt aus sechs verschiedenen Kamerapositionen auf den
Bildschirm schicken lassen. Das ist so interaktiv wie eine Speisekarte
oder der kindliche Weihnachts-Wunschzettel, bietet aber weniger
Ueberraschungen. Die versprochene Individualisierung bleibt im
Medien-Schlaraffenland immer ans konfektionierte Programmglueck
gebunden.
Selbst die Propagandisten der schoenen neuen Medienwelt sind sich
freilich nicht ganz sicher, wieviel Interaktivitaets-Optionen die
bequeme couch potato wirklich will. Wenn  Vilem Flussers Urteil ueber
des Mediennutzers Lust an der Traegheit stimmt, dann geht das
Aktivierungsangebot der Interaktivitaet ins Leere: "Die Leute wollen von
den Bildern zerstreut werden, um sich nicht, wie dies bei einem
tatsaechlichen Dialog der Fall ist, sammeln, versammeln zu muessen." Das
duerfte auch die Hoffnung auf neue Formen der demokratischen Teilhabe
daempfen. So ist Herbert Kubicek, Leiter der Forschungsgruppe
Telekommunikation an der Universitaet Bremen, sehr skeptisch, ob die
neuen Netze wirklich die Kommunikation zwischen Gruppen foerdern und die
Filter der traditionellen Massenmedien unterlaufen koennen. Technisch
moeglich ist gewiss der weitgehend unkontrollierte Transport von
Meinungen und Informationen ueber alle gesellschaftlichen Bereiche. Aber
neue Technologien koennen kaum soziokulturelle Trends veraendern, sie
spiegeln sie nur wider. Darueber hinaus zeigt die Entwicklung bei
aelteren Medien, dass anfaenglich begeistert genutzte Formen einer
"Kommunikation von unten" rasch industriellen Mustern der
Massenkommunikation unterworfen wurden. So feierte man vor Jahren das
Aufkommen der Videokassette als Chance, eine von Hollywood unabhaengige
Film- und Dokumentarkultur zu entwickeln, die jeden zum Produzenten
machen wuerde. Heute ist der Videomarkt laengst in die Verwertungskette
der Filmindustrie eingeordnet, die Interaktivitaet nur als Kaufakt
zulaesst.
Fataler noch als die Reduktion von Interaktion aufs kommerziell
Kompatible ist die Veraenderung unserer Vorstellung von Kommunikation
durch das Zusammenschalten von Mensch und Apparat. Als interaktiv gelten
die Apparate schon, wenn sie auf ein Input mit einem Output reagieren,
der das "Ergebnis struktureller Justierung" (Matthias Groll) der
Maschine ist. Diese strukturelle Justierung folgt der kybernetischen
Informationsverarbeitung mit Hilfe der binaeren 0-1-Codes, der
Kommunikation nur als Datentransport zulaesst. Damit aber legen, so der
Medientheoretiker Matthias Gross, "die Anschlussbedingungen der Apparate
fest, was Kommunikation ist". Eine paradoxe Hoerigkeit stellt sich ein:
Um mit der Maschine in Interaktion treten zu koennen, muss der Apparat
so programmiert werden, dass er mit dem Menschen kommunizieren kann. Das
fuehrt aber zwangslaeufig dazu, dass diese Programmierung auf den
Menschen zurueckwirkt und alles aus der Kommunikation ausschliesst, was
nicht mit der Struktur der Maschine kompatibel ist. Interaktivitaet
erweist sich so als Funktionslogik des Apparats, fuer den das reine
Fliessen von Informationen schon hinreichend "Sinn" gibt.
Fuer den Kunsttheoretiker Lev Manovich schafft Interaktivitaet damit die
Voraussetzung fuer perfekte Manipulation: "Mentale Prozesse der
Reflexion, des Problemloesens, der Erinnerung und Assoziation werden
externalisiert und mit dem Vorgang gleichgesetzt, einem Link zu folgen",
was nichts anderes heisst, als "vorprogrammierten, objektiv
existierenden Assoziationen nachzugehen". So tritt dem Schoepfer
digitaler Welten am Ende nicht bloss der fremde Geist als eigener
gegenueber, er schafft auch sich selber neu nach einer fremden Struktur.
Da hilft vermutlich nur noch Theologie.


du, Die Zeitschrift der Kultur, Dezember 1999/Januar 2000



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a n a . w o r d s
       aus dem dunkelblauen salon

words@ana.ch
http://ana.ch/words/
ana.txt seite 444

       reicht ana.words weiter!


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