wie ist es nun ploetzlich schon september geworden? und warum ist es schon ueber 23 jahre her dass prinzessin diana starb? und sind das irgendwie sinnvolle fragen? bleibt, wer nicht fragt, dumm? tbz hat grad was zum thema fragen gelesen und copy-pastet's euch nun. kleiner service des hauses. (das original faende sich hier: https://tinyurl.com/yxo2eerv ) also, ein bisschen philosophie zum dienstag: Das wird man ja wohl noch fragen dürfen!? Fragen gelten als scharfe Waffe der Aufklärung. Aber Verschwörungserzähler, Rechtspopulisten und Twitter-Wichtigtuer beweisen: Manche dummen Fragen sind sogar gefährlich. Ein Essay von Maja Beckers Wo kommt das Virus wirklich her? Wird Bill Gates uns alle zwangsimpfen? Was wird hier eigentlich gespielt? Fragen sind ein zentraler Bestandteil von Verschwörungsmythen und wer sie verbreitet, betont das auch: "Ich frage mich ?", leitet Attila Hildmann viele seiner Sätze ein; "wir müssen alles infrage stellen", fordert Xavier Naidoo. Und als in Berlin zuletzt gegen die Corona-Maßnahmen demonstriert wurde, erklärte einer der Veranstalter von der Hauptbühne herab, das Q in QAnon stehe für ihn "für das englische Wort question" und damit für "eine Gruppe von Fragestellern, die uns zum Nachdenken und Recherchieren anregen". Selbst einen hochgefährlichen Verschwörungsmythos wie QAnon, in dessen Namen schon Gewalttaten begangen wurden, hüllt man in den Mantel der Fragen, um ihn zu legitimieren. Denn gegen Fragen kann man ja in einer aufgeklärten Gesellschaft nichts haben. So geht die Erzählung. Fragen stehen am Anfang jeder Erkenntnis, Fragen bringen Licht ins Dunkel und wer nicht fragt, bleibt dumm. Das weiß auch der italienische Philosoph Giorgio Agamben, der einem seiner dramatisch polternden Pamphlete gegen die "Barbarei", in die Italien mit der Corona-Bekämpfung verfallen sei, den seltsam leisen Titel Una domanda, Eine Frage, gab. Das wissen auch der Kolumnist Jan Fleischhauer und der Verleger Jakob Augstein, die ihren neuen Podcast The Curve in der ersten Folge so charakterisierten: Man wolle sich hier "gemeinsam wundern", denn "uns ist eigen der fragende Geist". Es gibt ja auch kaum eine strahlendere Krone, die man sich aufsetzen kann. Von der Gründung der westlichen Philosophie durch den fragenden Sokrates bis zu den Idealen der Aufklärung ist der Wert des Fragens geistesgeschichtlich abgesichert. Aber unsere Fragenverehrung geht mittlerweile viel weiter. Es ist gerade drei Jahre her, dass ein Psychologie-Experiment viral ging, das suggerierte, ein Set von 36 Fragen könne wildfremde Menschen ineinander verliebt machen. Wir bimsen Studierenden ein, in der Innovationsgesellschaft ist es die eine gute Frage, die sie reich machen kann. Und manche Fragen lieben wir so sehr, dass wir sagen, sie seien zu schön, um durch eine Antwort verdorben zu werden. Der 2011 verstorbene Schweizer Psychiater und Professor der Universität Tel Aviv, Aron Ronald Bodenheimer, glaubte, wir lebten in einer Zeit der "Divinisierung des Fragens", also einer Art Erhebung des Fragens in den Götterstand. Das mag der Grund dafür sein, warum wir so hilflos dastehen, wenn jemand den von Menschen gemachten Klimawandel in Zweifel zieht, Menschenrechte infrage stellt oder von Bill Gates' sinisteren Plänen raunt, indem er "nur Fragen stellt". Dabei wäre es an der Zeit, auch Fragen selbst zu hinterfragen. Wer das wagt, gilt jedoch schnell als autoritär. Fragen wird man ja wohl dürfen!, heißt es dann. Ein Satz, der besser begründbar ist als "Das wird ja man wohl noch sagen dürfen", aber in seiner strategischen Entrüstung und Selbstverharmlosung ihm doch verwandt. Denn Fragen sind nicht so harmlos, wie er suggeriert. Schon die berühmteste Frage der deutschen Literatur, die Gretchenfrage, erzählt eigentlich von der dunklen Seite der Fragen. Gretchen, die ahnt, dass mit Faust etwas nicht stimmt, fragt ihn bekanntlich: "Wie hast du's mit der Religion?" Als die entscheidende Frage, die auf den Kern eines Problems zielt, ist die Gretchenfrage berühmt geworden. Wenig dagegen hört man davon, wie die Unterhaltung weiterging. Faust pariert die Frage mit Gegenfragen: "Mein Liebchen, wer darf sagen: Ich glaube an Gott?", "Wer darf ihn nennen? Und wer bekennen: Ich glaub ihn?" Mit zehn Fragen verwirrt er das Mädchen, zerstreut ihre Bedenken und die Tragödie nimmt ihren Lauf. Es gibt Fragen, die etwas wissen wollen; es gibt aber auch Fragen, die folgen ganz anderen Interessen. Trotzdem schauen wir derart unbedarft auf Fragen, dass wir bloß eine bestimmte Art "rhetorische Frage" nennen, als seien alle anderen ausschließlich von Wissenwollen getrieben. Doch auch andere Fragen entfalten rhetorische Wirkung, sollen manchmal nur provozieren, organisieren die Antwort vor oder beeinflussen auf anderen Wegen. Forschende der Universität Exeter konnten etwa zeigen, dass Verschwörungstheorien auch dann verfangen, wenn sie nicht explizit erklärt, sondern nur implizit angedeutet werden, zum Beispiel durch die Frage: "Und wer profitiert davon?" Fragen können sogar auf Wegen beeinflussen, die Aussagen nicht kennen. Sie können nämlich die wildesten Dinge unterstellen, während sie Augen und Ohren woanders hinlenken, so wie Agamben es tut, wenn er zu den italienischen Corona-Maßnahmen fragt: "Wie konnte es geschehen, dass ein ganzes Land im Angesicht einer Krankheit ethisch und politisch zusammenbrach, ohne dass man dies bemerkte?" Er unterstellt mal so eben, Italien sei ethisch und politisch zusammengebrochen ? zu klären bliebe nur, wie uns das entgehen konnte. Das ist das, wofür es im Englischen die schöne Bezeichnung "loaded question" gibt, also eine Frage, die schwer mit Unterstellungen "beladen" ist. Seine Unterstellungen aber in eine Frage zu gießen, heißt, sie weniger angreifbar zu machen. Wer fragt, kann kaum der Lüge überführt werden. Man fragt ja nur, und die Frage liegt jenseits von Kategorien wie wahr oder falsch. Dafür, dass wir angeblich in einer Welt leben, in der an jeder Ecke ein Shitstorm droht, ist das Fragen damit bemerkenswert risikoarm. Als die Bild Christian Drosten kürzlich unterstellte, seine Studie zu ansteckenden Kindern sei "grob falsch", schlug ihr massiv Kritik entgegen für diese Behauptung, auch von ihrem ehemaligen Redakteur Georg Streiter. Der hatte aber auch eine Idee, wie man die Sache hätte retten können: "mit einem Fragezeichen". "Schulen und Kitas wegen falscher Corona-Studie dicht?" Die Suggestion funktioniert auch so, die Kritik der Falschbehauptung aber läuft ins Leere. Bequem hat man mit provokanten Fragen auch gleich alle Beweislast umgekehrt, denn wer fragt, muss nicht antworten. Sollen die anderen doch erklären, warum man Menschen in Not helfen sollte oder warum sie meinen, Merkel wäre nicht von Geheimbünden gesteuert! Sollen sie doch zum x-ten Mal Rassismus definieren oder für ein feindseliges Auditorium belegen, dass der von Menschen gemachte Klimawandel trotz Restunsicherheiten der prognostischen Modelle eine Realität ist! Der Fragende genießt derweil seinen aufmerksamkeitsökonomischen Vorteil, im Zweifel indem er schon wieder neue Fragen aufbringt, die gar keine Antwort wollen. Denn Diskurse sind schnell, aber Fragen stets parat, ohne dass man erst aufwändig Wissen ranschaffen müsste. Die Frage steht jedem Laien zur Verfügung ? und jedem, der sein Wissen absichtlich unter den Tisch fallen lässt. Und der mit ihr gesäte Zweifel lässt sich, im Zweifel, nur äußerst mühsam aus der Welt schaffen: Wie viele von denen, die eine raunende Frage nach dem Verbleib von Christian Drostens Doktorarbeit erreichte, erreichte auch die Antwort, dass sie ganz konventionell an seiner Alma Mater einsehbar ist? So können auch die fragwürdigsten Fragen Diskurse prägen, steuern, gegebenenfalls auch manipulieren. Dabei lässt sich nicht nur ein gewünschter Eindruck herbeifragen, es lassen sich auch diejenigen Einsichten, die nicht erwünscht sind, hinwegfragen. Dafür muss der Saboteur nicht einmal so virtuos vorgehen wie Faust bei Gretchen. Einfach, aber effektiv ist etwa der "Whataboutism", benannt nach der Frage: "Aber was ist mit...?". Damit gemeint ist die Taktik, eine Diskussion zu stören, indem man nach einer anderen Sache fragt. In Diskussionen um die berufliche Benachteiligung von Frauen etwa meldet sich fast immer jemand zu Wort, der fragt: Und was ist mit benachteiligten Männern? Wir glauben derweil immer noch, wem Fragen schaden, der hat es wohl verdient. Als sägten sie stets in aufklärerischer Manier die dicken Stuhlbeine falscher Gewissheiten an, als schauten Fragen immer von unten nach oben. Doch das Machtspiel der Fragen kennt viele Richtungen. Ihr tendenziell bedrängender Charakter eignet sich hervorragend, um jemanden kleinzufragen: "Schämst du dich nicht?", um Druck auszuüben: "Wo ist das Problem?" oder um jemandem zu suggerieren, er gehöre nicht dazu: "Und wo kommst du eigentlich her?" Dass Fragen per se antiautoritär seien, ist eine Illusion. Genau wie der damit verbundene Glaube, sie förderten auf diesem Weg Fortschritt und Veränderung. Denn Fragen können auch geradezu "restaurative Tendenzen" haben, schreibt der Psychiater Bodenheimer in seinem Buch Warum? Von der Obszönität des Fragens. Man lehnt das Neue nicht ab, man fragt nur nach Beweisen, wozu das gut sein soll, das wird man ja wohl dürfen! Vor dem fragenden Geist vermag so "nur das längst Bekannte, das Geläufige und Sichere zu bestehen", schreibt Bodenheimer. Deshalb enthalten fast alle Innovationsstrategien Phasen, die sich die Fragen vom Leib halten, weil sie die neuen Keime gleich ersticken würden. Berühmtestes Beispiel ist wohl das Brainstorming, das dazu anhält, sofort Ideen aufzuschreiben und erst später zu prüfen. Das alles ist keine Rede gegen Fragen, nur gegen die Vorstellung, ihre Weste sei so blütenweiß. "Fragen kostet nichts" und "es gibt keine dummen Fragen"? Natürlich gibt es dumme Fragen und natürlich können sie etwas kosten, Nerven zum Beispiel, Zeit, Fortschritt, Erkenntnisse. Das Fragen kennt mindestens so viele rhetorische Tricks wie das Sagen. Es versteckt sie nur besser. Ist es nun anti-aufklärerisch, Fragen zu kritisieren? Im Gegenteil. Rhetorische, strategische oder politische Manöver zu erkennen, auch wenn sie die Form der Frage wählen, ist nur eine Ausweitung der Aufklärung auf das Feld der Fragen. Es ist selbstverständlich, dass eine liberale Demokratie und moderne Wissensgesellschaft ein Klima braucht, das Fragen fördert. Aber dafür müssen wir ja nicht eine Satzform heiligsprechen. Das wäre die Art gedankenlose Auffassung von Aufklärung, gegen die sich schon Horkheimer und Adorno gewehrt haben, weil sie Gefahr läuft, selbst wieder in den Mythos zu kippen. Und sei es nur der Mythos der guten Frage. -- = -- -- = -- -- = -- a n a . w o r d s aus dem hellblauen salon words@ana.ch http://ana.ch/words/ ana.txt seite 444 reicht ana.words weiter! vragen & kommentare & texte, die ihr davon findet, sie seien es wert, dass es die ganze welt erfaehrt, oder mindestens die redaktion, dann mailto:words@ana.ch du willst auch? immer mehr? dann abonnier auch du ana.words: http://ana.ch/txt/444