ana.words, anspruchsvolle rollen

ana.words, anspruchsvolle rollen
6. August 2003 tbz
In Allgemein
eine voellig andere art von theater

in einer stadt, die sie wahrscheinlich nicht kennen, spielt
man auf eine voellig andere art theater, als wir das gewohnt
sind.

die bewohner dieser stadt sind richtig theaterverrueckt und
verehren ihre grossen schauspieler ueber die massen, aber
wenn man als fremder eine auffuehrung besucht, ist man etwas
ratlos, denn es wird hier gar nicht besser gespielt als
anderswo, und die beruehmten namen, von denen man gehoert
hat, sucht man im programmheft vergebens.

aber, wuerde uns der einheimische theaterkenner an der kasse
sagen, haben sie die frau an der kasse gesehen? das war die
grosse borowna. in den stuecken werden die zuschauer immer
dann aufmerksam, wenn statisten auftreten, denn meistens hat
es unter einem soldatenchor oder einer wache einen ganz
beruehmten schauspieler, der kein wort sagt, aber dafuer
durch die vollendete beilaeufigkeit seiner bewegungen
bewunderung erregt.

bei uns fangen unbekannte schauspieler mit kleinen rollen
an, und wenn sie bekannt werden, gibt man ihnen groessere.
dort ist es umgekehrt. grosse rollen spielen nur anfaenger.
die guten schauspieler sehen ihre kunst darin, in immer
kleineren rollen aufzutreten, und als grosser schauspieler
gilt man erst dann, wenn man nicht mehr im verzeichnis der
darsteller aufgefuehrt wird. es kann einem passieren, dass
man in der toilette neben einen herrn zu stehen kommt, der
sich auf eine art kaemmt, die sich einem sofort einpraegt,
und hinterher erfaehrt man, dass das der beruehmte
longstraal war. wirklich grosse schauspieler koennen es sich
sogar leisten, nur auf einem familienfoto vorzukommen, das
im dritten akt an der wand haengt. vielleicht noch ein
hinweis: wenn sie einen dieser schauspieler zutiefst
beleidigen wollen, muessen sie ihm saqgen, sie moechten ihn
gern als hamlet sehen.

franz hohler, wegwerfgeschichten