ana.words, die welt dreht sich halt wieder

ana.words, die welt dreht sich halt wieder
10. Oktober 2023 tbz
In sex, drugs and techno
tbz hat grad weltschmerz.
das herz tut weh, irgendwie.
und wie geht es euch?
history repeating tut weh.
ende nicht abzusehen.

und ausgerechnet heute gibz zum znacht falafel.
aber falafel gehoert allen.
da muss man nicht drueber streiten.

ihren ersten falafel ass tbz mit 15 in israel.
und wusste nicht, was hummus ist.
wusste eh nix vom land.
es war der erste flug.
der reisefuehrer war immer bewaffnet.
und wenn die soldaten mit uns feierten
warfen sie all ihre waffen einfach auf nen haufen.
tbz hatte den haufen fotografiert
und grad das album angeschaut.
und im yad-vashem-museum
erinnert sich tbz
an einen haufen schuhe.
schuhe von ermordeten juden.
mal gab's einen knall,
als die gruppe mit jugendlichen aus der schweiz
im bus unterwegs war
zu einem projekt
von juden und arabern.
das war ein molotowcocktail.
er ist aber nicht losgegangen.
oder wie man dem sagt bei molotowcoktails.
wir hatten also glueck
und gingen zu dem projekt mit juden und arabern.
und vor der rueckreise wurden wir gebrieft
was wir beim zoll sagen sollten
wenn sie uns fragten
ob wir in der altstadt von jerusalem waren, 
ob wir bei den arabern waren.
nein, sollten wir sagen.
und wir sagten nein, als sie jeden koffer durchsuchten.
und sie waren streng und fragten
ob man wisse, warum sie das fragten
und tbz verwechselte safety und security
und war eh ganz nervoes
und aber sagte, nein, beim basar sei sie nicht gewesen und log.

das war vor 31 jahren.

und vor paar jahren wanderte tbz' frau durch palaestina.
und sah in nen pistolenlauf.
von nem judensoldaten.
und knapp wurde nicht geschossen,
auf die wandergruppe aus der schweiz.


was soll man sagen zu molotowcoktail und pistole.
es tut einfach grad so furchtbar sehr das herz weh.
man kann nur falafel essen.
denn falafel gehoert allen.


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Wie Lämmer zur Schlachtbank

Mai 1968. Nach dem Sechstagekrieg verschwand der Sand, der unser Viertel
von der Welt trennte. Planierraupen, Bagger und Bauunternehmer rissen
Wege auf und errichteten Gebäude – neue Menschen kamen. Sie gingen in
unsere Schulen und Kindergärten, zum Lebensmittelladen und zur Ambulanz
der Krankenkasse. Sie waren anders. Sie trugen Schuhe, die Zehen und
Zehennägel freiließen, kurze Hosen und Trägerhemden – keine
langärmeligen Hemden und keine Krawatten, und auf dem Kopf trugen sie,
ob Junge oder Mädchen, einen runden Stoffsonnenhut, bei ihnen sah man
keine Locken und kein Spray im Haar, keine Kippot und keine runden
Filzhüte. Ihre Sprache war mit arabischen Wörtern gespickt. 
Sie hatten auch ungewohnte Namen wie Azma’ut, Cherut, Amikam, Uriel und
Zuriel – Unabhängigkeit, Freiheit, Mein Volk erhebt sich, Gott ist mein
Licht und Gott ist mein Felsen. 
Sie hatten ihre Kriege und ihre Helden. Kein Schweigen, wie bei uns,
sondern Geschichten: Vater, der Soldat, Vater, der Pilot, Großmutter,
die Pionierin, Mutter, die Palmach-Kämpferin mit einem Sten-Gewehr in
der Hand. Und alle hatten sie eine Vergangenheit, nicht irgendeine,
sondern eine großartige. Und jeden Schabbat machten sie Ausflüge und
kannten jeden Hügel und jede Erderhebung im Land. 
In unserem Viertel wurden die Fremden mit grenzenloser Neugier
betrachtet. 

Helena sagte: »Jetzt gibt es in unserem Viertel zwei Viertel: Eines
heißt Polen, und seine Polnischen leben in kleinen Häusern mit einem
Gartenstück, im ersten oder im zweiten Stock, und sie sprechen
hebräisch, nicht gut und nicht schlecht, und das andere nennt man Land
Israel, und seine Palmach-Kämpfer wohnen in großen Häusern mit vielen
Stockwerken und haben viele Freunde und sprechen halb hebräisch und halb
arabisch.«

Eines Tages fand ich, wie Helena gehofft hatte, einen Freund aus dem
Land Israel, er hieß Uriel Komem. In der Familie Komem gab es nur einen
Feiertag, der von besonderer Bedeutung war – und das war nicht Pessach,
nicht Purim und auch nicht Jom Kippur, es war der Unabhängigkeitstag,
und der Vorabend wurde nach einer festgelegten Zeremonie begangen. Sie
luden alle in ihren Garten ein, um patriotische Lieder zu singen. Auch
ich wurde eingeladen. Als Helena davon hörte, bat sie Uriel, ebenfalls
eingeladen zu werden. »Es ist besser«, unterstrich sie ihre Bitte, »wenn
ich sie begleite.« Sie deutete auf mich. »Wenn es dunkel ist, geht sie
nicht alleine irgendwohin oder nach Hause zurück. Und du bist ein guter
Junge, du wirst deinen Eltern bei den Vorbereitungen helfen.“

„Schließlich wurde auch die Vertreterin des Viertels zum abendlichen
Singen eingeladen. Der Unabhängigkeitstag kam, und die Nachbarinnen
fanden sich für dieses Ereignis zusammen. 
Bevor sie eintrafen, hatte Helena schon einen Filzhut und eine
Lacktasche auf das Sofa gelegt, zur Besichtigung. Jede Nachbarin, die zu
uns kam, zeigte sich beeindruckt. Nur Itta wagte einzuwenden, wenn sie
schon einen Hut aufsetzen wolle, dann sollte es einer von diesen runden
Stoffsonnenhüten sein, auf keinen Fall ein Filzhut. 
»So ein Hut ist nicht fein«, antwortete Helena mit einem Zwinkern.
»Glaubst du etwa, ich wäre wie sie, von der Haganah oder vom Palmach?«
Sie umarmte Itta und drückte sie fest an sich. Angelika kam, die
Friseurin, und türmte Helenas Haare zu einer Hochfrisur, die sie mit
Spray festigte. Die Schneiderin Gina traf ein, mit einem Kostüm, das sie
genäht hatte, und einem Nähkästchen aus Holz, um an Ort und Stelle
Änderungen auszuführen. Rivka, die Schuhverkäuferin, war auch aufgeboten
worden, um zu helfen, sie lieh Helena ein Paar Schuhe mit hohen
Absätzen. Helena war ordentlich ausgerüstet für den Abend: ein rotes
Kostüm, ein schwarzer Hut, spitze Schuhe mit hohen Absätzen. Um das Bild
zu vervollkommnen, legte sie noch einen Strauß Rosen dazu, eingepackt in
Zellophanpapier.
 
Am Abend des Festes, sie und ich, auf dem Rasen der Familie Komem. Um
uns herum standen Leute mit wilden Mähnen, Sandalen an den Füßen, und
alle trugen uniformähnliche Khakikleidung, egal ob Frauen oder Männer.
In der Luft hing der Duft von Falafel, Chumus und Techina, und das Brot
nannte man bei ihnen Pita.

Helena stand aufrecht auf dem Rasen, in ihrem roten Kostüm, mit rot
geschminkten Lippen, mit rot lackierten Fingernägeln, mit Lackschuhen
und mit einer Lacktasche und in den Händen einen in Zellophan
gewickelten Rosenstrauß, von dem Bänder in Rot und Rosa flatterten.
Der Hausherr, ein muskulöser, freundlicher, braun gebrannter Mann, kam
zu uns und stellte sich vor: »Ich bin Komem Schaltiel«, sagte er, warf
mit einer Kopfbewegung seine Haare zurück und streckte die rechte Hand
aus.

Helena sagte mit einer metallischen Stimme, die für einen Moment brach
und zitterte: »Und mein Name in Israel ist Helena
Wie-Lämmer-zur-Schlachtbank.« Sie streckte die Hand aus.
Komem Schaltiel runzelte die Stirn, zog die Augenbrauen hoch und fragte: »Was?«
Helena wiederholte, während sie ihm die Hand drückte: »Helena
Wie-Lämmer-zur-Schlachtbank. Sie wissen doch.« Und noch einmal sagte
sie, diesmal aber langsamer: »Helena Wie-Lämmer-zur-Schlachtbank.«
An diesem Abend ging ich mit Helena allein nach Hause.
Und Uriel Komem sah ich nicht wieder.

Jahre später.
Ein grauhaariger Mann sprach mich am Eingang der Universität von Tel
Aviv an und fragte zögernd: »Elisabeth? Bist du es?«
»Ja«, antwortete ich.
Er sagte: »Ich heiße Komem, erinnerst du dich?«
Ich erinnerte mich.
»Was machst du?«, fragte ich.
»Ich bin an der Universität von San Diego, an der Fakultät für Geschichte.«
Er schluckte, dann fuhr er fort: »Ich bin dort Leiter des Forschungsinstituts zur Shoah.«
Ich schwieg.
Und er fügte hinzu: »Immer wenn ich gefragt werde, wie es kommt, dass
ein in Israel Geborener wie ich sich mit der Shoah beschäftigt, sage ich
zu meinen Studenten und überhaupt zu allen, dass wir nach dem
Sechstagekrieg vom Luftwaffenstützpunkt in ein Stadtviertel gezogen
sind. Dort entdeckte ich, dass es in Israel noch einen anderen Planeten
gab und andere Soldaten in der Armee Gottes. Und es gab da eine seltsame
Frau in einem roten Kleid, die die Weltgeschichte für mich von Grund auf
verändert hat.« Er schwieg verlegen, dann sagte er: »Richte ihr Grüße
aus und sag ihr, dass ich ihr danke.“

aus:  warum bist du nicht vor dem krieg gekommen? von lizzie doron

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